Wie eine Strommangellage in der Schweiz verhindert werden kann
Abbildung 1: Koronaentladungen an der 380kV-Hochspannungsleitung über den Albulapass (Bildquelle).
27. Juli 2023
Um die Akzeptanz des Klimaschutzes in der Bevölkerung nicht zu gefährden, werden in der Energiestrategie des Bundes umstrittene Produktionstechnologien wie alpine Solaranlagen, Wind- oder Kernkraftwerke weitgehend ausgeklammert. Damit die Strategie trotzdem aufgeht, werden übertrieben optimistische Annahmen zur Reduktion des künftigen Stromverbrauchs oder zu den Importmöglichkeiten von klimaneutralen Energieträgern gemacht. Diese weitgehend auf Wunschdenken basierende Strategie ist nicht erfolgversprechend und gefährdet die Versorgungssicherheit der Schweiz. Im Folgenden werden die notwendigen Anpassungen zur Verhinderung einer Strommangellage aufgezeigt.
Im Jahr 2050 soll die Schweiz netto keine Treibhausgase mehr ausstossen. Um dieses im Klimaschutzgesetz verankerte Ziel zu erreichen, muss das gesamte Energiesystem grundlegend umgebaut werden. Dafür ist es notwendig, die heute genutzten fossilen Energieträger durch Strom zu ersetzen.
Strom hat gegenüber fossilen Energieträgern den Vorteil, dass er sehr sauber und effizient ist. Strom hat aber auch einen entscheidenden Nachteil: Er lässt sich im Gegensatz zu fossilen Energieträgern schlecht speichern. Ausserdem müssen Stromverbrauch und -erzeugung im Stromnetz immer im Gleichgewicht sein. Ist dies nicht gewährleistet, wird das Netz instabil und bricht zusammen.
Ein grossflächiger Stromausfall in mehreren dicht besiedelten Kantonen mit 0,8 bis 1,5 Millionen betroffenen Personen, der in der Regel zwei bis vier Tage dauert, stellt gemäss Risikobericht des Bundes das grösste Risiko für die Schweiz dar. Zudem dauert es Tage bis Wochen, bis sich die Lage wieder normalisiert hat. Die Häufigkeit dieses Szenarios wird im Risikobericht mit einmal in 30 Jahren angegeben. Die damit verbundenen Kosten belaufen sich auf 200 Mia. CHF. Damit verursacht ein einziger grossflächiger Stromausfall etwa gleich hohe Kosten wie der gesamte Umbau des Energiesystems.
Angesichts dieser bedrohlichen Situation hat die Gewährleistung der Versorgungssicherheit beim Umbau des Energiesystems oberste Priorität. Der Umbau des Energiesystems muss daher so ausgestaltet werden, dass grossflächige Stromausfälle vermieden werden. Welche konkreten Punkte dabei zu beachten sind, soll im Folgenden erläutert werden.
Realistische Abschätzung des zukünftigen Stromverbrauchs
Die weitgehende Elektrifizierung des Energiesystems wird zu einem starken Anstieg des Stromverbrauchs führen. Die Energieperspektiven 2050+ (EP2050+) des Bundes gehen von einem Anstieg von 65,6 TWh/a auf 84,5 TWh/a aus. Dabei werden allerdings sehr optimistische Annahmen hinsichtlich der erreichbaren Effizienzsteigerungen getroffen. Zudem wird ein Teil des Stromverbrauchs z.B. für Negativemissionen ins Ausland verlagert Bei einer konservativeren Betrachtung mit realistischen Annahmen und ohne Verbrauchsverlagerung ins Ausland ist mit einem deutlich höheren Stromverbrauch von 118,5 TWh/a im Jahr 2050 zu rechnen.
Damit sind wir beim ersten Punkt: Bei der Planung des neuen Energiesystems muss von konservativen Abschätzungen des zukünftigen Strombedarfs ausgegangen werden. Stellt sich in der Praxis der Zukunft heraus, dass der Stromverbrauch aufgrund zu optimistischer Annahmen unterschätzt wurde, ist dies dann nur noch schwer zu korrigieren und gefährdet die Versorgungssicherheit.
Genügend Stromproduktion, um den erhöhten Verbrauch zu decken
Von den verfügbaren Stromerzeugungstechnologien sind nur die Solarenergie, die Windenergie und die Kernenergie in der Lage, den zusätzlichen Strombedarf aus inländischer Erzeugung zu decken. Die Wasserkraft ist weitgehend ausgebaut und kann nur in geringem Umfang weiter gesteigert werden. Auch von der Geothermie ist bis 2050 kein nennenswerter Beitrag zu erwarten.
Die geeigneten Erzeugungstechnologien sind mit Ausnahme der Dachsolaranlagen alle umstritten. Der Neubau von Kernkraftwerken ist verboten, neue Windparks und alpine Solaranlagen werden durch Einsprachen um Jahre verzögert.
In den EP2050+ des Bundes wird deshalb der Weg des geringsten Widerstandes gewählt. Um die Akzeptanz des Klimaschutzes in der Bevölkerung nicht zu gefährden, werden umstrittene Produktionstechnologien wie alpine Solaranlagen, Wind- oder Kernkraftwerke weitgehend ausgeklammert. Stattdessen wird im Wesentlichen auf die ineffizienten, aber unumstrittenen Dachsolaranlagen gesetzt. Um die dadurch entstehenden Versorgungslücken zu schliessen, werden in EP2050+ Biogas- und Wasserstoffimporte postuliert.
So wird angenommen, dass grosse Mengen Biogas aus der Ukraine und Russland importiert werden können. Mit dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine ist diese Annahme weniger als ein Jahr nach Erscheinen der EP2050+ deutlich unrealistischer geworden. Für die Versorgung mit klimaneutralem Wasserstoff gibt es in der EU zwar Pläne zum Aufbau eines Pipelinenetzes. Der Realisierungszeitraum und die Kosten des darüber gelieferten Wasserstoffs sind derzeit aber noch offen. Offen ist auch, ob sich die Schweiz an diesem Wasserstoffnetz beteiligen kann.
Aufgrund dieser vielen Unsicherheiten, nicht zuletzt auch bezüglich der Kosten, beruht die Anrechnung von Biogas- und Wasserstoffimporten in den EP2050+ im Wesentlichen auf dem Prinzip Hoffnung und ist damit unredlich. Sollten sich die heute in Aussicht gestellten Importe klimaneutraler Energieträger nicht realisieren lassen, müsste auf fossile Energieträger zurückgegriffen werden. Damit aber würde das Netto-Null-Ziel verfehlt.
Und damit kommen wir zum zweiten Punkt: Die Stromversorgung des neuen Energiesystems muss auf verfügbaren, etablierten Erzeugungstechnologien basieren. Die Anrechnung unsicherer Importe klimaneutraler Energieträger ist zu vermeiden.
Genügend Stromproduktion auch im Winter
In der Schweiz wird im Winter mehr Strom verbraucht als im Sommer. Bereits heute kann die Schweiz ihren Strombedarf im Winter nicht mit eigener Produktion decken und ist auf Importe angewiesen. Mit der weitgehenden Elektrifizierung des Energiesystems wird sich diese Situation weiter verschärfen. Nicht nur wird der Stromverbrauch insgesamt von 65,6 TWh/a auf 118,5 TWh/a ansteigen. Durch die flächendeckende Installation von Wärmepumpen wird der grösste Teil dieses Mehrbedarfs im Winter anfallen.
Es reicht nicht aus, ein Energiesystem aufzubauen, das den Strombedarf im Jahresmittel decken kann. Das zukünftige Energiesystem muss in der Lage sein, einen grossen Teil des Strombedarfs im Winter durch inländische Produktion zu decken.
Der Grund für diese Anforderung liegt in den begrenzten Stromimportkapazitäten. Ohne Stromabkommen sind die Stromimporte aus der EU aufgrund der so genannten «70%-Regel» auf maximal 10,0 TWh/a begrenzt. Doch selbst wenn ein Stromabkommen zustande käme, könnten die Winterstromimporte nicht wesentlich erhöht werden. Denn mit Ausnahme von Frankreich werden alle Nachbarländer der Schweiz auf Winterstromimporte angewiesen sein. Dies schränkt die für den Import in die Schweiz verfügbaren Strommengen stark ein.
Deshalb müssen Produktionstechnologien eingesetzt werden, die in der Lage sind, einen hohen Anteil ihrer Jahresproduktion im Winter zu liefern. Dies sind alpine Solaranlagen, Windturbinen und Kernkraftwerke. In welcher Kombination die drei Erzeugungstechnologien in Zukunft eingesetzt werden, spielt aus technischer Sicht eine untergeordnete Rolle. Sowohl die Kernenergie als auch eine Kombination aus alpiner Solar- und Windenergie sind in der Lage, den Strombedarf auch im Winter zu decken. Die Wahl wird letztlich auf einer politischen Abwägung der Kosten, des Landschaftsschutzes und der Risiken der drei Technologien beruhen müssen.
Aufgrund der langen Vorlaufzeiten ist es jedoch wichtig, diese Diskussion rechtzeitig zu führen. Denn schon heute ist klar, dass die in den EP2050+ favorisierten Dachsolaranlagen keine Alternative darstellen. Sie liefern im Winter weniger als 30% ihrer Jahresproduktion. Selbst wenn alle verfügbaren Dachflächen in der Schweiz mit Solaranlagen bestückt würden, würde deren Produktion im Winter nicht ausreichen, um den Strombedarf zu decken. Im Sommer hingegen produzieren sie grosse, kaum nutzbare Überschüsse.
Daraus folgt der dritte Punkt: Um die Stromversorgung auch im Winter sicherzustellen, müssen im neuen Energiesystem zwingend auch umstrittene Erzeugungstechnologien wie alpine Solaranlagen, Windturbinen oder Kernkraftwerke eingesetzt werden. Deren Ausbau ist derzeit politisch blockiert. Um einen substanziellen Ausbau zu ermöglichen, sind Gesetzesänderungen notwendig.
Zuerst muss die Stromproduktion gesteigert werden und erst danach der Verbrauch
Im Klimaschutzgesetz werden strenge CO2-Reduktionsziele vorgegeben. Das Gesetz enthält zwar keine expliziten Verbote, es ist jedoch klar, dass die ehrgeizigen Reduktionsziele nur mit einer flächendeckenden Einführung von Wärmepumpen und Elektroautos erreicht werden können.
Konkrete Verbote wurden in der Schweiz bisher nicht erlassen. Im Ausland sind jedoch bereits entsprechende Bestrebungen im Gange. So verbietet die EU ab 2035 den Verkauf von Autos mit Verbrennungsmotoren, und in Deutschland wird derzeit ein Gesetz diskutiert, das den Ersatz von fossilen Heizungen durch Wärmepumpen vorschreibt. Dieser Ansatz, die Elektrifizierung von Wärme und Mobilität zu forcieren, ohne zu berücksichtigen, ob dafür ausreichend Strom zur Verfügung steht, schafft enorme Sachzwänge. Sollte sich der Ausbau der Erzeugungskapazitäten verzögern, ist die Versorgungssicherheit stark gefährdet.
Der vierte beim Umbau des Energiesystems zu beachtende Punkt lautet deshalb: Vorgaben zur Elektrifizierung des Energieverbrauchs dürfen nur dann gemacht werden, wenn die erforderlichen Stromerzeugungskapazitäten zur Verfügung stehen. Eine einseitige Erhöhung des Stromverbrauchs ohne entsprechende Produktion führt unweigerlich zu einer Stromlücke. Daher müssen verbrauchssteigernde Massnahmen zur Erreichung der CO2-Reduktionsziele des Klimaschutzgesetzes von der Erreichung der Erzeugungsziele des Mantelerlasses abhängig gemacht werden.
Fazit
Um die Akzeptanz des Klimaschutzes in der Bevölkerung nicht zu gefährden, werden in der Energiestrategie des Bundes umstrittene Produktionstechnologien wie alpine Solaranlagen, Wind- oder Kernkraftwerke weitgehend ausgeklammert. Damit die Strategie trotzdem aufgeht, werden allzu optimistische Annahmen zur Reduktion des künftigen Stromverbrauchs oder zu den Importmöglichkeiten von klimaneutralen Energieträgern gemacht. Diese weitgehend auf Wunschdenken basierende Strategie ist nicht erfolgversprechend und gefährdet die Versorgungssicherheit.
Es ist an der Zeit, dass die Schweiz umdenkt und sich folgenden unangenehmen Tatsachen stellt:
- Die Energiestrategie muss auf eine solide Basis gestellt werden. Dazu gehören realistische Annahmen über den künftigen Stromverbrauch und der Verzicht auf die Kreditierung unsicherer Importe.
- Eine klimaneutrale Energieversorgung ist ohne die umstrittenen alpinen Solaranlagen, Wind- oder Kernkraftwerke nicht möglich. Dachsolaranlagen sind keine Alternative, da ihr Beitrag zur Deckung des Winterdefizits marginal ist. Im Gegenzug produzieren sie schwer verwertbare Überschüsse im Sommer. Die Forderung nach einem Obligatorium für Dachsolaranlagen bei Neubauten ist kontraproduktiv.
- Die heutigen gesetzlichen Rahmenbedingungen verhindern den Ausbau der dringend benötigten alpinen Solar-, Wind- und der Kernkraftwerke. Es braucht eine rasche politische Diskussion über den Einsatz dieser Produktionstechnologien in der Schweiz und die Schaffung geeigneter gesetzlicher Rahmenbedingungen, damit sie im notwendigen Ausmass ausgebaut werden können.
- Wichtig ist die Reihenfolge. Zuerst müssen die Produktionskapazitäten ausgebaut werden. Erst wenn diese zur Verfügung stehen, können allenfalls Vorschriften für neue Stromverbraucher wie Wärmepumpen oder Elektroautos erlassen werden. Diese Reihenfolge sollte gesetzlich festgelegt werden.
Leider zeichnet sich in der aktuellen politischen Diskussion ein «weiter wie bisher» ab. Dies führt im besten Fall dazu, dass die Klimaziele bis 2050 verfehlt werden. Im schlimmsten Fall führt es aber zu einer grossflächigen Stromlücke. Deren finanzielle Folgen für Bevölkerung und Wirtschaft könnten die Kosten des gesamten Umbaus des Energiesystems deutlich übersteigen.
Cher Georg,
Complètement d’accord avec ton analyse. Il faut aussi communiquer en Suisse romande où les blocages sont encore plus importants. A ta disposition pour en parler.