Was kostet der Klimaschutz?
Abbildung 1: Solarkraftwerk im chinesischen Taihangshan (Bildquelle)
30. Mai 2023
Es überrascht nicht, dass die im Abstimmungskampf um das Klimaschutzgesetz von beiden Seiten in Umlauf gebrachten Kosten wenig belastbar sind. Ein Vergleich der wichtigsten Kostenstudien zeigt, dass die Energiewende nicht gratis zu haben sein wird. Bei den heute favorisierten Energiesystemen, die mehrheitlich auf Photovoltaik basieren, ergeben sich je nach angenommenem Energieverbrauch und angestrebter Versorgungssicherheit Mehrkosten zwischen 1’600 und 4’400 Franken pro Jahr und Person. Dies ist zwar weniger als die von der SVP behaupteten 6’600 Franken, aber immer noch substanziell.
Im Abstimmungskampf um das Klimaschutzgesetz, über welches am 18. Juni 2023 abgestimmt wird, sind die Kosten ein wichtiges Thema.
Die Gegner des Gesetzes argumentieren mit einer Studie der Eidgenössischen Materialprüfungsanstalt (EMPA), in welcher der ETH Professor Andreas Züttel die Mehrkosten der Energiewende auf bis zu 6’600 CHF pro Jahr und Person beziffert.
Auf der Seite der Befürworter engagiert sich ETH Professor Reto Knutti für die Annahme des Gesetzes. In einer auf Twitter publizierten, äusserst scharfen Replik auf Züttels Arbeit stellt Knutti die Kompetenz seines Kollegen in Frage und betont: «Nichts tun kostet mehr». Ähnlich tönt es auch beim Solarpionier Bertrand Piccard im Blick: «Wir werden tiefere Energiekosten haben, weil wir nichts verschwenden».
Auch der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) kommt in seiner Branchenstudie zum Schluss, dass ein weitgehend elektrifiziertes Energiesystem um -600 CHF pro Jahr und Person günstiger sei als das heutige.
Wie wir sehen, liegen die Kosten der EMPA- und der VSE-Studie 7’200 CHF pro Jahr und Person auseinander. Dies ist ein enormer Unterschied dem im Folgenden nachgegangen wird.
Vergleich der Mehrkosten für die der Energiewende
Für den vorliegenden Vergleich wurden neben den beiden erwähnten Studien der EMPA und des VSE die Energieperspektiven 2050+ des Bundesamtes für Energie (BFE) sowie eine Studie des Labors für Energiesystemanalyse des Paul Scherrer Instituts (PSI) berücksichtigt.
Beim Kostenvergleich ist zu beachten, dass den Studien unterschiedliche Methoden und Annahmen für die Kostenberechnung zugrunde liegen. Für einen aussagekräftigen Kostenvergleich mussten die Kostenangaben daher auf eine einheitliche Berechnungsgrundlage gebracht werden.
Aus diesem Grund wurden für den vorliegenden Vergleich die Mehrkosten für Kapital, Betrieb und Wartung für den Umbau des Energiesystems sowie die Energiekosten ohne Netzkosten, Steuern und Abgaben berücksichtigt. Bei Studien, die mit annuitätischen Kosten arbeiten, wurden vereinfachend die Kosten des Jahres 2050 für den Vergleich herangezogen.
Status-Quo
Gemäss Figur 13 der Gesamtenergiestatistik beliefen sich die Endverbraucher-Ausgaben für Energie im Referenzjahr 2019 auf 28,2 Mia. CHF/a resp. 3’300 CHF/a pro Person. Unter den oben beschriebenen Annahmen, also ohne Steuern, Netz- und Kapitalkosten, reduziert sich dieser Betrag auf12,1 Mia. CHF pro Jahr resp. 1’400 CHF/a pro Person. Das ist weniger als die Hälfte.
EMPA-Studie
In der Studie von Andreas Züttel et al. wurde untersucht, was es bedeuten würde, wenn die Schweiz den zusätzlichen Energiebedarf für den Ersatz der fossilen Energieträger und der Kernenergie durch inländische Solaranlagen decken wollte.
Im Unterschied zu den Arbeiten von VSE, BFE geht die Studie der EMPA vom heutigen Energieverbrauch aus und ist damit konservativer bzw. realistischer in Bezug auf den zukünftig zu erwartenden Energiebedarf. Zudem wird der in den Studien von VSE, BFE und PSI ausgeklammerte Bereich des internationalen Flugverkehrs explizit berücksichtigt.
Es wurden drei Szenarien untersucht: ein rein elektrisches Szenario (ELC), ein Szenario, in dem fossile Energieträger durch Wasserstoff ersetzt werden (HYS) und ein Szenario, in dem fossile Energieträger durch synthetische Brenn- und Treibstoffe ersetzt werden (HCR). Zu den untersuchten Szenarien ist anzumerken, dass sie die Grundprinzipien des Energiesystems aufzeigen und nicht als konkrete Umsetzungsvarianten gedacht sind. Insbesondere das teuerste Szenario HCR, das auf synthetischen Brenn- und Treibstoffen basiert, hat allenfalls hypothetische Realisierungschancen.
Die jährlichen Kosten der drei untersuchten Szenarien betragen pro Person 3’700 CHF/a für das ELC-Szenario, 4’400 CHF/a für das HYS-Szenario und 9’600 CHF/a für das HCR-Szenario. Abzüglich der Energiekosten des Status quo ergeben sich Mehrkosten von 2’300, 3’000 bzw. 8’200 CHF pro Jahr und Person.
VSE-Studie
Die EMPA hat in einer Studie im Auftrag des VSE vier Szenarien untersucht, die aufzeigen, wie sich das Schweizer Energiesystem entwickeln könnte. Die resultierenden Energiesystemkosten für das Jahr 2050 sind in allen vier Szenarien ähnlich und liegen zwischen 0.9 und 4.9 Mia. CHF/a unter den heutigen Kosten. Wie diese Kosten zustande kommen, lässt sich aus den Angaben in der Studie leider nicht nachvollziehen. Sie werden deshalb mit einer einfachen Kontrollrechnung am Beispiel des Szenarios «integriert-offensiv» plausibilisiert.
Die heutigen Systemkosten betragen 29,0 Mia. CHF/a. Im Gegensatz zu heute müssen 2050 keine fossilen Energieträger mehr importiert werden. Dadurch werden 6,8 Mia. CHF/a eingespart. Stattdessen werden aber im Szenario «integriert-offensiv» 26,9 TWh/a Wasserstoff zu einem Preis von 75 CHF/MWh importiert, was Kosten von 2,0 Mia. CHF/a verursacht. Zusätzlich müssen für die ins Ausland verlagerten Negativemissionen 3.1 Mia. CHF/a aufgewendet werden. Unter Berücksichtigung dieser Beträge ergeben sich Systemkosten von 27,3 Mia. CHF/a. Dabei sind die Einsparungen durch den Wegfall fossiler Energieträger bereits berücksichtigt. Um die in der Studie für das Jahr 2050 ausgewiesenen Systemkosten von 24,1 Mia. CHF/a zu erreichen, wären weitere Einsparungen von 3,2 Mia. CHF/a notwendig.
Eine solche Einsparung ist völlig unplausibel, wenn man bedenkt, dass durch den Umbau des Energiesystems mehr Strom verbraucht wird und gleichzeitig auf die bestehenden Kernkraftwerke verzichtet werden soll und deshalb große Kapazitäten der teureren Photovoltaik neu aufgebaut werden müssen und darüber hinaus 1,8 Mio. fossil betriebene Heizungen durch teurere Wärmepumpen ersetzt werden sollen.
Die einzige Erklärung für die unplausiblen Kosteneinsparungen der VSE-Studie ist, dass bei den Kosten des heutigen Energiesystems Steuern und Abgaben berücksichtigt wurden, die im neuen Energiesystem wegfallen sind. Diese können aber nicht als Einsparungen angerechnet werden, da sie zunächst nur eine Umverteilung zwischen Energieverbrauchern und Steuerzahlern bewirken.
Energieperspektiven 2050+ (EP2050+)
Im Rahmen des Übereinkommens von Paris hat sich der Bundesrat noch ehrgeizigere CO2-Reduktionsziele gesetzt: Ab 2050 will die Schweiz netto keine Treibhausgase mehr ausstossen (Netto-Null-Klimaziel). Um dieses Ziel zu erreichen, stützt er sich weitgehend auf die EP2050+ des Bundes ab.
Das Basisszenario der EP2050+, das Szenario ZERO Basis, stellt somit die offizielle Umsetzungsstrategie des Bundes zur Erreichung des Netto-Null-Ziels dar. Es geht von sehr optimistischen Annahmen zur zukünftigen Senkung des Energieverbrauchs und zu möglichen Energieimporten aus und wird deshalb auch von wissenschaftlicher Seite kritisiert.
Die jährlichen Mehrkosten des Basisszenarios belaufen sich gemäss Abb. 203 des technischen Berichts im Jahr 2050 auf 8,7 Mia. CHF/a. Dies entspricht rund 1’000 CHF pro Jahr und Person. Da der internationale Flugverkehr im EP2050+ nicht enthalten ist, kommen für das zu importierende Synthesekerosin 600 CHF pro Jahr und Person hinzu.
PSI-Studie
Die Studie des Labors für Energieanalyse ist das Ergebnis von acht mehrjährigen Forschungsprojekten, die nun in einem gemeinsamen Modell zusammengeführt wurden. Es handelt sich um die umfassendste unabhängige Studie zur zukünftigen Energieversorgung der Schweiz. Die Studie untersucht drei Szenarien. Das Szenario CLI entspricht im Wesentlichen dem Basisszenario von EP2050+. Zusätzlich wurden ein Szenario mit hoher Versorgungssicherheit (SECUR) und ein Szenario mit konservativeren Annahmen bezüglich der erreichbaren Energieeffizienzsteigerungen (ANTI) untersucht.
Für das Jahr 2050 werden in Abbildung 6e der Studie für das Szenario CLI Kosten von rund 1’500 CHF pro Jahr und Person ausgewiesen. Im Selbstversorgungsszenario SECUR sind es 2’500 CHF/a und im konservativen Szenario ANTI 3’800 CHF/a pro Person. Für den internationalen Flugverkehr, der in allen Szenarien der PSI-Studie nicht berücksichtigt ist, kommen für das zu importierende Synthesekerosin jeweils 600 CHF pro Jahr und Person hinzu.
Fazit
Die Frage «Was kostet Klimaschutz?» lässt sich nicht mit einer einfachen Zahl beantworten. Je nachdem, welche technische Lösung für den zukünftigen Energiemix gewählt wird, fallen die Kosten sehr unterschiedlich aus. Vergleicht man die Szenarien mit den jeweils tiefsten und höchsten Kosten, ohne das unplausible VSE-Szenario und das hypothetische HCR-Szenario der EMPA-Studie, so ergeben sich jährliche Mehrkosten zwischen 1’600 und 4’400 CHF pro Jahr und Person.
Die optimistischen Szenarien mit tiefem Energieverbrauch und Selbstversorgungsgrad sind mit Mehrkosten zwischen 1’600 (EP2050+) und 2’100 CHF pro Jahr und Person (CLI) am günstigsten. Werden geringere Energieeinsparungen angenommen und ein höherer Grad an Versorgungssicherheit angestrebt, ergeben sich Mehrkosten zwischen 2’300 (ELC) und 4’400 CHF (ANTI) pro Jahr und Person.
Es geht aber auch günstiger. In den bisher betrachteten Szenarien stammt der weitaus grösste Teil des produzierten Stroms aus Photovoltaik. Werden auch andere Produktionstechnologien zugelassen, ergeben sich deutlich tiefere Kosten. Wie ich in https://georgschwarz.ch/variantenvergleich/ zeige, verursacht ein Produktionsmix aus alpinen Solaranlagen und Windturbinen Mehrkosten von nur 1’000 CHF pro Jahr und Person und bietet trotzdem einen hohen Selbstversorgungsgrad. Mit Abstand am günstigsten ist die Kernenergie. Ihre Mehrkosten betragen unschlagbare 350 CHF pro Jahr und Person.
Der Ausschluss der Netzkosten ist für einen Vergleich der Studien untereinander sinnvoll.
Aber nicht für eine Bezifferung der Mehrkosten für den Endverbraucher gegenüber heute.
Erstens erfordert eine dezentrale Erzeugung grosse Investitionen ins Netz in der Grössenordnung jener in die Erzeugung.
Zweitens verschieben sich die Endverbraucher-Stromkosten auf dem eingeschlagenen Weg zu den Netzkosten, da die Kosten dann im Wesentlichen aus Anschluss- und Bereitstellungskosten bestehen.
Völlig richtig aber leider gibt es zum Thema nur wenig Unterlagen. Ich bin aber dran.