Stromgesetz: Stärkung der Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit
Abbildung 1: Kampagnenheader Stromgesetz (Bildquelle).
23. April 2024
Das Bundesamt für Energie (BFE) hat sechs Faktenblätter mit den wichtigsten Pro-Argumenten zum neuen Stromgesetz publiziert. In Faktenblatt 1 macht das BFE geltend, dass das Stromgesetz die Versorgungssicherheit stärke und die Schweiz unabhängiger mache.
Am 9. Juni entscheidet die Schweizer Stimmbevölkerung über das Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien – das sogenannte Stromgesetz. Ich werde in einer Serie von Blogs auf die vom BFE publizierten Pro-Argumente zum Stromgesetz näher eingehen.
Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten setzt das Stromgesetz Ausbauziele für neue Erneuerbare Energien und die Wasserkraft fest. In der Botschaft des Bundesrates entsprachen diese Ziele exakt den Ausbauzielen der Energieperspektiven 2050+ (EP2050+). In der parlamentarischen Beratung wurden einige der Ziele verschärft. So sollen nun bis 2035 statt 17,0 TWh/a nun 35,0 TWh/a an neuen Erneuerbaren zugebaut werden. Auch das Endziel für 2050 wurde leicht von 39,0 TWh/a auf 45 TWh/a angehoben. Die Ziele für die mittlere erneuerbare Stromproduktion aus Wasserkraft entsprechen im Wesentlichen denjenigen der EP2050+ und belaufen sich auf mindestens 37,9 TWh/a für 2035 und mindestens 39,2 TWh/a für 2050. Unter Einbezug der Pumpspeicherwerke entspricht dies einer Jahresproduktion von 43,9 TWh/a für 2035 und 45,3 TWh/a für 2050. Da bis zum Jahr 2050 die Restwassermengen gesenkt werden müssen, sinkt die Stromproduktion der bestehenden Wasserkraftwerke um -1,9 TWh/a. Unter Berücksichtigung dieser Verluste muss die Produktionskapazität der Wasserkraftwerke bis 2050 gegenüber dem Jahr 2019 um 6,6 TWh/a ausgebaut werden.
Bereits heute ist die Schweiz im Winter auf Stromimporte angewiesen. Damit sich diese Problematik in Zukunft nicht verschärft ist im Stromgesetz ein maximaler Richtwert von 5,0 TWh/a für Winterstromimporte festgehalten.
Damit dieser Richtwert erreicht werden kann, fordert das Stromgesetz eine Steigerung der Winterproduktion um 6,0 TWh/a. Davon müssen 4,0 TWh/a mittels grossen Solar- oder Windanlagen gedeckt werden. Für die verbleibenden 2,0 TWh/a müssen die Speicherkapazitäten der schweizerischen Wasserkraftwerke erhöht werden. Die dafür vorgesehenen 16 Projekte sind im Stromgesetz aufgeführt.
Der resultierend Produktionsmix ist in Tabelle 1 zusammengestellt.
Tabelle 1: Produktionsmix gemäss den Ausbauzielen des Stromgesetzes für das Jahr 2050.
Bedarf/ Produktion | Jahr- 2019 [TWh/a] | Diff. [TWh/a] | Jahr- 2050 [TWh/a] | Sommer [TWh/a] | Winter [TWh/a] |
Bedarf | -65.6 | -18.8 | -84.4 | -40.2 | -44.3 |
Strombedarf | -65.6 | -18.8 | -84.4 | -40.2 | -44.3 |
Produktion | 71.9 | 19.4 | 91.3 | 51.5 | 39.8 |
Kernkraftwerke | 25.3 | -25.3 | 0.0 | 0.0 | 0.0 |
Wärmekraftwerke | 3.7 | -0.6 | 3.1 | 1.5 | 1.7 |
Wasserkraftwerke | 40.6 | 6.6 | 47.2 | 24.3 | 22.8 |
Restwasser | 0.0 | -1.9 | -1.9 | -1.0 | -1.0 |
Gebäude-PV | 2.2 | 37.7 | 39.9 | 27.4 | 12.4 |
Windenergie | 0.1 | 6.0 | 6.1 | 2.4 | 3.8 |
Geothermie | 0.0 | 0.0 | 0.0 | 0.0 | 0.0 |
Batteriespeicher | 0.0 | -3.2 | -3.2 | -3.2 | 0.0 |
Saldo | 6.3 | 0.6 | 6.8 | 11.3 | -4.5 |
Dank der punktuellen Verschärfungen die das Parlament am Entwurf des Bundesrates vorgenommen hat, können die Winterstromimporte im Vergleich zu den EP2050+ von -8,8 TWh/a auf rund -4,5 TWh/a reduziert werden. Trotzdem bleiben die Unterschiede der vorliegenden Ausbauziele zu den EP2050+ klein. Abweichungen bestehen lediglich bei der Wasserkraft (47,2 TWh/a statt 46,6 TWh/a) sowie bei der Gebäudephotovoltaik (37,7 TWh/a statt 31,4 TWh/a) und der Windenergie (6,1 TWh/a statt 4,3 TWh/a).
Als Absicherung gegen Engpässe wird die seit dem Winter 2022/23 bestehende Energiereserve beibehalten. Sie wird jedoch nicht mehr durch freiwillige Ausschreibungen gebildet. Neu müssten die Betreiber von grossen Speicherwasserkraftwerken obligatorisch an der Wasserkraftreserve teilnehmen.
Der im Wesentlichen auf Gebäudephotovoltaik basierenden Produktionsmix des Stromgesetzes macht die schweizerische Stromproduktion in Zukunft deutlich volatiler. Bei ungünstigen Wetterverhältnissen besteht insbesondere im Winter die Gefahr von Versorgungslücken. Deshalb geht die schweizerische Elektrizitätskommission (ElCom) in ihrem Bericht «Winterproduktionsfähigkeit» davon aus, dass zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit bis zum Jahr 2035 erdgasbetriebene Reservekraftwerke mit je nach Szenario Leistungen von bis zu 4’000 MW benötigt werden. Im Stromgesetz hingegen sind keine neuen weitergehende Massnahmen zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit vorgesehen.
Somit wird mit dem Stromgesetz die Versorgungssicherheit, entgegen der Aussagen der Befürworter nicht gestärkt, sondern im Gegenteil tendenziell geschwächt.
Das Stromgesetz verhindert, dass die Winterstromimporte im Vergleich zu heute weiter ansteigen. Über das ganze Jahr gesehen resultiert sogar ein Exportüberschuss der in etwa dem heutigen Wert entspricht. Somit ändert sich im Bereich der Stromerzeugung in Bezug auf die Auslandsabhängigkeit kaum etwas.
Die im Stromgesetz vorgesehene Stromproduktion ist jedoch nur ein Teil des Energiesystems. Um den Energiebedarf der Schweiz im Jahr 2050 zu decken werden zusätzlich biogene und strombasierte Energieträger benötigt. Die inländische Produktion reicht jedoch nicht aus um diesen Bedarf zu decken. Die EP2050+ sehen deshalb folgende Importe vor:
- Biogene Energieträger: Insgesamt sollen 11,2 TWh/a Biogas und 1,5 TWh/a Biodiesel importiert werden. Als Lieferländer werden im Zusatzmaterial zu den EP2050+ die Ukraine und Russland genannt. Vor dem aktuellen geopolitischen Hintergrund ist es fraglich ob diese Länder die benötigten Importe gewährleisten können.
- Strombasierte Energieträger: Die vorgesehenen Importe belaufen sich auf 2,6 TWh/a an strombasiertem Wasserstoff und 27,5 TWh/a an strombasierten flüssigen Treibstoffen. Insbesondere die strombasierten flüssigen Treibstoffe haben sehr hohe Produktionskosten.
Neben dem Ausbau der Stromerzeugung müssen somit auch in Zukunft erhebliche Mengen an Energieträgern importiert werden. Die oben aufgeführten insgesamt 42,8 TWh/a gelten nicht nur für die EP2050+. Dieselben Mengen müssen auch beim im Stromgesetz vorgesehenen Produktionsmix importiert werden.
Wenn die im «Exkurs Wasserstoff» der EP2050+ aufgeführten Preise für Biogas und strombasierte Treibstoffe zugrunde gelegt werden, resultierten Importkosten von 12,3 Mia. CHF/a (siehe). Das ist fast doppelt so viel wie heute für die fossilen Energieträger aufgewendet werden muss.
Mengenmässig gehen die Importe von Energieträgern zwar zurück, kostenmässig nehmen sie jedoch um fast das Zweifache zu. Vor diesem Hintergrund kann nicht von einer zunehmenden Unabhängigkeit der Schweiz gesprochen werden.
Auch und besonders ökonomisch gesehen ist der Plan, den das Stromgesetz bewirken soll, eine gigantische Geldvernichtung, der Solaranteil ist viel zu hoch. Nur schon als Insel Schweiz betrachtet, führt das Überangebot im Sommer bei gutem Wetter zu Nullpreisen. Der gesamte Erzeugungspark ist dann nichts wert, abgesehen von den Backup-Kraftwerken. Das wird variable Endkundenpreise erforderlich machen, was dann wieder teure Anpassungen in der gesamten Gesellschaft nach sich zieht, die bisher meines Wissens noch kaum untersucht wurden. Grüne freut zwar, dass AKW-Strom dann die halbe Zeit wertlos ist. Sie übersehen aber, dass Solarstrom so über seine gesamt Produktionszeit nichts einbringt.
Das ökonomische Bild ist sogar noch negativer, wenn man den europäischen Verbund betrachtet. Ob wir ein Stromabkommen haben oder nicht, spielt dabei keine Rolle, denn die Netze und damit das Angebot sind verbunden. In einem Commodity-Markt sind die komparativen Vorteile entscheidend. In der Schweiz ist aber die Erschliessung teurer (Alpensolar), der Raum knapper (Flächensolar) sowie der Ertrag nur rund 1/3 so gross wie an optimalen Standorten in Europa (sowohl Wind als auch Solar). Wir setzen also auf eine Technologie, mit der wir teurer als die Konkurrenz in ein Überangebot hineinproduzieren, da Solar ja reihum die Hauptrolle spielen soll. Dümmer geht’s nicht.
Eine sinnvolle Strategie mit offenen Augen für die Entwicklungen in Europa wäre:
1/ Phasenschieber an die Grenzen, um die ungeplanten Stromflüsse abzuregeln
2/ Gleichzeitig ein Ausbau der Übertragungskapazitäten im Höchstspannungsnetz
3/ Starker Ausbau der Pumpspeicherwerke, vermehrt für Speichervolumen statt Leistung
Ein solches Programm wäre um Faktoren günstiger, es erfüllte im Verbund eine sinnvolle Aufgabe, und es bestünde zumindest Aussicht auf Rentabilität.
Man kann nicht genug wiederholen, dass der Verzicht auf neue KKW zu einer starken Zunahme unserer Abhängigkeit auf Stromimporte bzw. Gas- oder Wasserstoffimporte in den kritischen Wintermonaten führen wird. Nur die SVP und nun langsam die FDP trauen sich das laut zu sagen. Es wird leider noch eine Weile dauern, bis die Mitte endlich auch zu dem Schluss kommt …