Stromgesetz: Schonung von Natur und Landschaft
Abbildung 1: Kampagnenheader Naturkomitee (Bildquelle).
7. Mai 2024
Das Bundesamt für Energie (BFE) macht in seinem dritten Faktenblatt geltend, dass das neue Stromgesetz Natur und Landschaft schone. Dennoch müssen 12 bestehende Staumauern erhöht, rund 19 neue Wasserkraftwerke sowie 200 Windturbinen und 500 alpine Solarparks von der Grösse der Stadt Bern gebaut werden, um die gesetzlichen Ausbauziele zu erreichen.
Am 9. Juni entscheidet die Schweizer Stimmbevölkerung über das Bundesgesetz für eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien – das sogenannte Stromgesetz. Ich gehe in einer Serie von Blogs auf die vom BFE publizierten Pro-Argumente zum Stromgesetz näher ein (siehe).
Ausbauziele
Im Stromgesetz werden Ausbauziele für die Wasserkraft, die neuen erneuerbaren Energien sowie für die Sicherstellung der Winterstromversorgung festgesetzt.
- Die mittlere, erneuerbare Stromproduktion aus Wasserkraft soll von 36,1 TWh/a im Jahr 2020 auf 37,9 TWh/a bis 2035 und auf 39,2 TWh/a bis 2050 ausgebaut werden. Unter Einbezug der Pumpspeicherwerke entspricht dies einer Jahresproduktion von 43,9 TWh/a im Jahr 2035 und 45,3 TWh/a im Jahr 2050. Da bis zum Jahr 2050 die Restwassermengen gesenkt werden müssen, sinkt die Stromproduktion der bestehenden Wasserkraftwerke um -1,9 TWh/a. Unter Berücksichtigung dieser Verluste muss deshalb die Produktionskapazität der Wasserkraftwerke bis 2050 um 4,4 TWh/a ausgebaut werden.
- Die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien ohne Wasserkraft soll von 4,2 TWh/a im Jahr 2020 auf 35,0 TWh/a bis 2035 und auf 45,0 TWh/a bis 2050 gesteigert werden. Der grösste Teil dieses Ausbaus soll mittels Gebäudephotovoltaik gedeckt werden.
- Für die Sicherstellung der Winterstromversorgung sollen grosse Solar- und Windkraftanlagen mit einer Winterproduktion von 4 TWh/a erstellt werden. Darüber hinaus ist vorgesehen, die Speicherkapazität der Wasserkraftwerke um 2,0 TWh von 8,9 TWh auf 10,9 TWh zu erhöhen.
Eignungs- und Schutzgebiete
Grosse Wind- und Solaranlagen, die in den Wintermonaten viel Strom liefern können, gelten als Anlagen von nationalem Interesse. Das Stromgesetz schafft für solche Anlagen, die in für die Produktion besonders geeigneten Gebieten errichtet werden, erleichterte Planungsbedingung. Damit soll erreicht werden, dass sich die Planung von grossen Windkraft- und Solaranlagen auf die ausgeschiedenen Eignungsgebiete konzentriert und die übrigen Gebiete geschont werden.
Das geltende absolute Bauverbot für neue Stromproduktionsanlagen in Biotopen und Zugvogelreservaten von nationaler Bedeutung, bleibt jedoch für grosse Windkraft- und Solaranlagen bestehen.
Für Wasserkraftwerke führt das Stromgesetz jedoch neue Ausnahmeregelungen ein. Neu sollen Wasserkraftwerke, die zur Verbesserung der ökologischen Situation beitragen, auch in solchen Biotopen errichtet werden können. Zudem soll der Ausschluss von Anlagen zur Produktion von erneuerbarer Energie nicht mehr für Gletschervorfelder und alpine Schwemmebenen gelten, die sich in Zukunft aufgrund des Rückzugs der Gletscher bilden werden. Weiter hat das Parlament präzisiert, dass Wasserkraftanlagen, bei denen nur die Restwasserstecke in einem Schutzobjekt liegt, nicht von vornherein ausgeschlossen sind.
Umweltauswirkungen der Wasserkraft
Der vorgesehene Ausbau der Speicherkapazität der Wasserkraftwerke um 2,0 TWh/a kann mit den im Stromgesetz aufgelisteten und am «Runden Tisch» unter Beteiligung von Umweltverbänden ausgewählten 16 Projekten abgedeckt werden. Diese 16 Projekte kommen in den Genuss von erleichterten Planungsbedingungen.
- Erhöhung der Speicherkapazität: Die Mehrheit der 16 genannten Projekte beinhaltet die Erhöhung bereits bestehender Staumauern. Lediglich bei zwei Projekten werden neue Staumauern errichtet. Es sind dies die Projekte Gornerli bei Zermatt und Trift bei Innertkirchen. Diese beiden Projekte liefern mit 650 GWh/a den grössten resp. mit 215 GWh/a den drittgrössten Beitrag an den geplanten Ausbau der Winterspeicherkapazität (siehe). Obwohl die beiden Projekte zu den im Rahmen des «Runden Tisches» ausgewählten Projekten gehören, haben der Schweizer Landschaftsschutz, Aqua Viva und der Grimselverein bereits ihren Widerstand angekündigt. Heftig umstritten ist auch das zweitgrösste Projekt, die Erhöhung der Grimselstaumauer, welche eine zusätzliche Winterspeicherkapazität von 240 GWh/a zur Verfügung stellen würde. Somit ist mehr als die Hälfte des vorgesehenen Ausbaus umstritten.
- Erhöhung der Jahresproduktion: Die im Stromgesetz explizit aufgeführten 16 Projekte liefern lediglich 0,8 TWh/a an zusätzlichem Strom. Gemäss der Studie Wasserkraftpotenzial des BFE kann die Stromproduktion mittels Erneuerungen bestehender Grosswasserkraftwerke (Ausrüstungsersatz, Höherstau, Flussaustiefungen und Stollenausweitungen) um 1,2 TWh/a gesteigert werden. Um das Ausbauziel für die Wasserkraft zu erreichen, müssen somit die Produktionskapazitäten um zusätzliche 2,4 TWh/a ausgebaut werden. Das entspricht der jährlichen Stromproduktion des Speicherkraftwerkes Grande Dixence, dem grössten Wasserkraftwerk der Schweiz oder 16 Wasserkraftwerken mit der Jahresproduktion des oben erwähnten Projektes Trift von 145 GWh/a.
Im Faktenblatt 3 des BFE ist ausschliesslich von den 16 im Stromgesetz explizit aufgeführten Projekten die Rede. Dass für die Zielerreichung darüber hinaus noch einmal 16 neue, mittelgrosse Wasserkraftwerke mit einer Jahresproduktion von je 145 GWh/a (Abbildung 2) benötigt werden, bleibt unerwähnt.
Abbildung 2: Stauseeprojekt Trift (Bildquelle).
Umweltauswirkungen der Windenergie
Das Stromgesetz unterscheidet nicht zwischen grossen Wind- und Solaranlagen. Unter der Annahme, dass in den Alpen keine Solarparks gebaut werden, müssten Windenergieanlagen mit einer Winterproduktion von 4 TWh/a installiert werden, um das gesetzliche Ausbauziel zu erreichen. 4 TWh/a Wintererzeugung aus Windkraft entspricht einer Jahreserzeugung von 6 TWh/a. Werden dafür, wie im Windpark Gotthard (Abbildung 3), Enercon E92 Turbinen mit einer Nennleistung von 2.4 MW eingesetzt, entspricht dies rund 1’900 Anlagen mit einer Höhe von je 160 m.
Nun gibt es heute leistungsstärkere Windturbinen als die Enercon-E92. Im Windpark Grenchenberg sind Turbinen mit 4,0 MW Nennleistung geplant. Da am Grenchenberg zudem bessere Windverhältnisse als am Gotthard herrschen, produziert eine Windturbine dort 7,5 MWh/a statt 3,2 MWh/a (siehe). Damit reduziert sich die benötigte Turbinenzahl auf 750.
Die tatsächlich benötigte Zahl an Windanlagen dürfte irgendwo dazwischen, wahrscheinlich bei rund 1’000 Anlagen liegen.
Abbildung 3: Windpark Gotthard (Bildquelle).
Umweltauswirkungen der alpinen Solarparks
Wenn keine Windanlagen und stattdessen nur alpine Solarparks erstellt werden, braucht es solche mit einer Jahresproduktion von 8 TWh/a um das gesetzliche Winterproduktionsziel von 4 TWh/a zu erreichen.
Solarparks werden bevorzugt an Standorten realisiert, die bereits durch Straßen und Netzanschlüsse erschlossen sind. In Frage kommen insbesondere Gebiete in der Nähe von Stauseen oder Skigebieten. Ein Beispiel dafür ist das Projekt NalpSolar direkt neben dem Stausee Nalps in der Gemeinde Tujetsch (Abbildung 4). Hier plant die Axpo auf einer Fläche von 12 ha die Installation von Solarmodulen mit einer Gesamtleistung von 10 MW. Die Anlage wird eine Jahresproduktion von 13 GWh/a erreichen.
Um das Ausbauziel des Stromversorgungsgesetzes allein mit Solarparks zu erreichen, sind 615 Anlagen in der Grösse von NalpSolar nötig. Ihr Flächenbedarf beträgt 7’400 ha, was 85% der Fläche der Stadt Zürich entspricht.
Abbildung 4: Solarpark NalpSolar (Bildquelle).
Fazit
Das neue Stromgesetz lockert den bestehenden Natur- und Umweltschutz in verschiedenen Bereichen. So werden zur Förderung des Ausbaus der erneuerbaren Stromproduktion Planungserleichterungen für neue Wasser-, Wind- und grosse Solarkraftwerke eingeführt. Für Wasserkraftwerke werden zudem Ausnahmen vom heute geltenden absoluten Bauverbot für neue Stromerzeugungsanlagen in Biotopen und Zugvogelreservaten von nationaler Bedeutung eingeführt. Dank einer solchen Ausnahmebewilligung kann beispielsweise das Projekt Oberaletsch in einem UNESCO-Weltnaturerbe-Gebiet realisiert werden.
Auch wenn der grösste Teil des künftigen Strombedarfs durch die umwelt- und landschaftsschonende Photovoltaik auf Gebäuden gedeckt werden soll, braucht es für die Winterstromversorgung auch neue Grosskraftwerke.
- Wasserkraftwerke: Mithilfe von 16 im Stromgesetz explizit aufgeführten Projekten soll die Speicherkapazität der schweizerischen Stauseen um 2 TWh/a gesteigert werden. Dies entspricht rund 20% der heute bestehenden Speicherkapazität. Um das Ausbauziel für die Wasserstromproduktion zu erreichen, werden darüber hinaus noch 16 neue, mittelgrosse Wasserkraftwerke mit einer Jahresproduktion von je 145 GWh/a benötigt. Insgesamt müssen 12 bestehende Staumauern erhöht und ca. 19 neue Wasserkraftwerke gebaut werden.
- Windkraftwerke und alpine Solarparks: In der Summe müssen 4 TWh/a Winterstrom mithilfe von grossen Windkraftwerken und alpinen Solarparks erzeugt werden. Zum jeweiligen Anteil von Wind- resp. Alpenstrom macht das Stromgesetz keine Vorgaben. Kommt ausschliesslich Windkraft zum Tragen, müssten rund 1’000 Windturbinen erstellt werden. Für eine reine Solarproduktion werden 615 mittlere alpine Solarparks benötigt. Bei einer Mischlösung mit 200 Windturbinen wie sie Bundesrat Rösti vorschlägt müssten zusätzlich rund 500 mittelgrosse alpine Solarparks mit einem Flächenbedarf von 5’900 ha gebaut werden.
Im Faktenblatt 3 des BFE wird ausgeführt, dass mit dem neuen Stromgesetz Natur und Landschaft weitgehend geschont werden. Ob diese weitgehende Schonung trotz der Erhöhung von 12 bestehenden Staumauern, dem Bau von rund 19 neuen Wasserkraftwerken, 200 Windturbinen und 500 alpinen Solarparks mit der Fläche der Stadt Bern gewährleistet bleibt, ist natürlich Ansichtssache. Meines Erachtens sollte ein offizielles Informationsblatt aber konkret auf den geplanten Ausbau eingehen und sich nicht mit Allgemeinplätzen begnügen.
Interessanter Artikel. Ich verstehe nicht genau wieso es für 4 TWh Winterstrom nur Wind oder alpine PVA gibt. Es gibt ja auch sehr viele neue sonstige PVA Installationen und Biomasse. Auch wenn es im Winter für die anderen PVA weniger Ertrag gibt sollten die doch auch in die Berechnung einfliessen.
Sehen Sie das anders?
Die 4 TWh/a sind die Zielvorgabe des neuen Stromgesetzes und sind damit begründet, dass Wind- und alpine Solarparks einen hohen Winteranteil von 66% resp. 50% an der Jahresproduktion aufweisen. Gebäude-PV liefert mit lediglich 25% zu wenig und die Menge an Biomasse ist in der Schweiz limitiert.
Zum potenziellen Beitrag der Gebäude-PV im Winter verweise ich auf: https://georgschwarz.ch/das-maerchen-vom-billigen-solarstrom-der-von-unseren-daechern-kommt/