Rahmenbedingungen für den Neubau von Kernkraftwerken in der Schweiz
Abbildung 1: Kernkraftwerk Gösgen im Rahmen der Lichtkunstserie «Monuments of Switzerland» von Gerry Hofstetter (Bildquelle).
21. Juni 2023
Um die Ziele des neuen Klimaschutzgesetzes zu erreichen, wird im Winter deutlich mehr Strom benötigt als bisher. Dieser Mehrbedarf kann nicht mit Dachsolaranlagen allein gedeckt werden. Will die Schweiz teure und unsichere Stromimporte vermeiden, müssen stattdessen Windparks, alpine Solaranlagen oder Kernkraftwerke gebaut werden. Alle drei Alternativen sind jedoch heftig umstritten und benötigen verbesserte Rahmenbedingungen, um in nennenswertem Umfang zum Einsatz zu kommen. Wie solche Rahmenbedingungen für die Kernenergie aussehen könnten, wird im Folgenden aufgezeigt.
Das Klimaschutzgesetz wurde am 18. Juni 2023 vom Schweizer Stimmvolk angenommen. Das damit beschlossene Klimaziel kann nur mit elektrisch betriebenen Wärmepumpen und Elektroautos erreicht werden. Als Folge davon wird die Schweiz vor allem im Winter deutlich mehr Strom benötigen als heute.
Dieser Mehrbedarf kann mit dem in der Energiestrategie 2050 vorgesehenen Produktionsmix, der vor allem auf Gebäudephotovoltaik basiert, nicht gedeckt werden. Die Gebäudephotovoltaik produziert vor allem im Sommer, wenn wir bereits heute Strom exportieren. Im Winter, wenn Wärmepumpen betrieben werden müssen, liefert die Photovoltaik auf dem Dach viel zu selten und viel zu wenig Strom. Dies, weil die Tage kurz sind und das Mittelland dann meist unter einer dicken Hochnebeldecke liegt.
Schon heute ist die Schweiz im Winter auf Stromimporte angewiesen. Wenn wir uns nicht von immer unsicherer werdenden Stromimporten aus dem Ausland abhängig machen wollen, braucht es Alternativen zur Gebäudephotovoltaik.
Diese Alternativen sind vorhanden: Windparks, Solaranlagen in den Alpen oder auch Kernkraftwerke sind in der Lage, den zusätzlichen Strombedarf im Winter zu decken. Leider sind alle drei genannten Alternativen in der Schweiz stark umstritten. Der Bau von Windparks und alpinen Solaranlagen stösst auf massiven lokalen Widerstand und wird durch Gerichtsverfahren um Jahre verzögert. Der Bau neuer Kernkraftwerke ist sogar gesetzlich verboten.
Damit die drei genannten Alternativen einen nennenswerten Beitrag zur Deckung der vom Volk beschlossenen Winterstromlücke leisten können, sind Gesetzesänderungen unumgänglich.
Weshalb Kernenergie?
Die Kernenergie hat gegenüber den beiden anderen Alternativen drei gewichtige Vorteile. Sie ist:
- Bedarfsgerecht: Im Gegensatz zu Solar- und Windenergie ist die Erzeugung von Kernenergie nicht wetterabhängig. Sie ist frei regelbar und kann jederzeit dem aktuellen Bedarf angepasst werden. Eine aufwändige und teure Speicherung des Stroms entfällt.
- Landschaftsschonend: Kernkraftwerke benötigen im Verhältnis zu ihrer Leistung nur wenig Platz. Die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes ist gering, insbesondere bei Verwendung moderner Hybridkühltürme.
- Kostengünstig: Die Gestehungskosten für Strom aus Kernenergie sind sehr niedrig. Sie betragen die Hälfte von Windstrom und einen Drittel von Alpenstrom.
Aufgrund dieser Vorteile wird in der Politik bereits am Tag nach der Volksabstimmung über das Klimagesetz über einen Wiedereinstiegs in die Kernenergie diskutiert. Im Folgenden wird aufgezeigt, welche Gesetzesänderungen notwendig sind, um diesen Wiedereinstieg auch praktisch zu ermöglichen.
Ausgangslage
Das Neubauverbot für Kernkraftwerke wurde im Zuge der Energiestrategie in Artikel 12a im Kernenergiegesetz verankert und trat am 1. Januar 2018 in Kraft.
Der Bau eines neuen Kernkraftwerks in der Schweiz war aber schon vorher praktisch unmöglich. Das Bewilligungsverfahren des am 1. Februar 2005 in Kraft getretenen totalrevidierten Kernenergiegesetzes ist so kompliziert und aufwändig, dass ein Neubau allein aus verfahrenstechnischen Gründen Jahrzehnte in Anspruch nehmen würde. Aufgrund der zahlreichen Einsprachemöglichkeiten besteht zudem die Gefahr, dass die absehbaren Gerichtsverfahren zu weiteren Verzögerungen oder gar zum Projektabbruch führen.
Selbst wenn das Neubauverbot aufgehoben würde, ist es aufgrund des heutigen Genehmigungsverfahrens praktisch ausgeschlossen, dass ein Vorhabenträger das finanzielle Risiko eines Neubaus eingeht.
Doch worin besteht dieses finanzielle Risiko genau?
Kostentreibende Faktoren beim Bau eines Kernkraftwerks
In Europa befinden sich derzeit vier neue Kernreaktoren im Bau (1 Reaktor in Flamanville 3, Frankreich, 2 Reaktoren in Hinkley Point C, Grossbritannien und 1 Reaktor in Mohovce 4, Slovakei). In Finnland wurde vor kurzem, nach 18 Jahren Bauzeit, ein neuer Reaktor in Betrieb genommen (Olkiluoto 3). Die geplanten Baukosten wurden bei allen Projekten teilweise um ein Vielfaches überschritten und werden heute auf 850 bis 1’600 CHF/(MWh pro Jahr) geschätzt. Ausserhalb Europas sind über 50 Reaktoren im Bau, 21 davon allein in China. Bei diesen Projekten sind die Bauzeiten rund dreimal kürzer und die Baukosten viermal tiefer.
Für die Mehrkosten der europäischen Projekte sind im Wesentlichen folgende vier Faktoren verantwortlich:
- Zu teurer Reaktortyp: Ein wesentlicher Grund für die Unterschiede zwischen den europäischen Projekten und den südkoreanischen, chinesischen und russischen Projekten liegt sicherlich im Reaktortyp. In Mohovce wird ein russischer Reaktor gebaut. Bei den Reaktoren in Hinkley Point, Flamanville und Olkiluoto handelt es sich um Reaktoren des Typs EPR der französischen Firma Framatome. Dies ist zurzeit der leistungsstärkste Reaktor der Welt mit einer Nettoleistung von 1’630 MW. Der EPR verfügt über vier redundante, aktive Sicherheitsbänke und ein ausserordentlich robustes Reaktorgebäude, was ihn vergleichsweise teuer macht. Trotz seiner aufwändigen Auslegung ist der EPR aber nicht sicherer als andere Reaktortypen, die statt auf aktive Sicherheitssysteme vermehrt auf inhärent sichere passive Sicherheitssysteme setzen.
- Mangelnde Erfahrung des Herstellers: Obwohl das Grunddesign des EPR relativ teuer ist, konnten in Taishan, CHN, zwei EPR-Blöcke in nur 9 Jahren zu Kosten von 400 CHF/(MWh pro Jahr) gebaut werden . Es spielt also eine grosse Rolle, ob ein EPR von Framatome wie in Olkiluoto, von EdF wie in Flamanville oder wie in Taishan von einem erfahrenen chinesischen Unternehmen wie China Nuclear General (CNG) gebaut wird. Generell lässt sich feststellen, dass Hersteller mit aktueller Bauerfahrung ihre Projekte im Zeit- und Kostenrahmen realisiert haben, während Hersteller, die während Längerem keine Kernkraftwerke mehr gebaut haben, mit Zeit- und Kostenüberschreitungen zu kämpfen hatten.
- Ändernde Sicherheitsanforderungen: Entgegen häufig geäusserter Vorurteile ist das in einem Land geforderte Sicherheitsniveau nicht a priori für hohe Baukosten verantwortlich. Alle Hersteller bieten heute Reaktortypen mit einem sehr hohem Sicherheitsniveau zu vertretbaren Kosten an. Ungünstig sind jedoch Änderungen der Sicherheitsanforderungen während der Planungs- und Bauphase. Diese führen zu kostspieligen Anpassungen des Kraftwerksdesigns und zu Terminverschiebungen. Dies war sowohl in Finnland als auch in Frankreich der Fall, wo zusätzliche behördliche Auflagen zu erheblichen Bauverzögerungen führten. Ähnliches gilt für länderspezifische Sonderregelungen, die Änderungen des Standarddesigns oder der Herstellungs- und Nachweisverfahren erfordern.
- Zu lange Bauzeiten: Letztlich führen alle drei oben genannten Faktoren zu längeren Bauzeiten und diese sind der wichtigste Kostentreiber. Rekordhalter unter den genannten Beispielen ist der Reaktor in Mohovce 4 dessen Bau 1987 begonnen, 1992 aufgrund von Geldmangel gestoppt und 2009 wieder aufgenommen wurde. Die Länge der Bauzeit wirkt sich nicht nur wegen der zusätzlichen Reibungsverluste kostensteigernd aus. Gegen Ende der Bauzeit fallen auch die Kapitalkosten der nicht produzierenden Anlage immer stärker ins Gewicht. Um die Bauzeiten zu minimieren, setzen chinesische, aber auch russische Hersteller grosse personelle Ressourcen ein. So waren in Taishan in Spitzenzeiten mehr als 15.000 Arbeiter im Einsatz. Auf der Rosatom-Baustelle in Akkuyu in der Türkei waren sogar bis zu 25’000 Arbeiter gleichzeitig im Einsatz.
Am Beispiel der beiden Kernkraftwerke Leibstadt (KKL) und Gösgen (KKG) lassen sich die Auswirkungen der vier Faktoren auch für schweizerische Verhältnisse sehr gut aufzeigen.
Die Projektierung des KKL begann 1964, die Standortbewilligung wurde 1969 erteilt. 1971 verbot der Bund die Flusswasserkühlung. Die Änderung des Kühlkonzepts führte zu weiteren Verzögerungen und Mehrkosten. Weitere drei Jahre später wurde mit dem Bau des Kraftwerks begonnen. Den nuklearen Teil der Anlage lieferte der amerikanische Hersteller General Electric (GE). Der sekundäre Teil der Anlage wurde von der Firma BBC geliefert, was erhebliche Änderungen in der Konstruktion erforderte und zu Verzögerungen beim Bau führte. Das Ziel, das Kernkraftwerk 1978 in Betrieb zu nehmen, wurde nicht erreicht. Die Umsetzung der aus dem Unfall im amerikanischen Kernkraftwerk Three Miles Island (TMI) abgeleiteten Nachrüstungen führte zu weiteren Kostensteigerungen und Verzögerungen. Erst Ende 1984, 20 Jahre nach Planungsbeginn, konnte das KKL den kommerziellen Betrieb aufnehmen. Die Baukosten betrugen insgesamt 4,8 Mia. CHF (Angaben gemäss KKL).
Mit dem Vorprojekt für das KKG wurde 1969 begonnen. Die Standortgenehmigung wurde 1972 erteilt. Die KKG beauftragte die Kraftwerk Union AG (heute Framatome) mit der schlüsselfertigen Erstellung des Kernkraftwerks in Standardbauweise. Die Bauarbeiten begannen 1973 und wurden Anfang 1979 abgeschlossen. Da die Bauarbeiten zum Zeitpunkt des Störfalls bei TMI bereits abgeschlossen waren, verzögerte sich die Inbetriebnahme durch eine vom Bundesrat angeordnete Überprüfung der Sicherheitssysteme und Betriebsvorschriften nur um ein halbes Jahr. Nach erfolgreichem Abschluss der Inbetriebsetzung nahm das KKG im November 1979 den Leistungsbetrieb auf. (Angaben gemäss KKG).
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es sich beim KKL um eine Sonderanfertigung unter Beteiligung eines Projektpartners ohne Kernenergieerfahrung mit einer Planungs- und Bauzeit von 20 Jahren handelte. Im Gegensatz dazu war das KKG eine schlüsselfertige Standardanlage des Kraftwerkherstellers mit einer Planungs- und Bauzeit von nur 10 Jahren. Entsprechend beliefen sich die Baukosten des KKL auf insgesamt 4,8 Mia. CHF, während die Baukosten des KKG bei damals vergleichbarer elektrischer Leistung und vergleichbaren Rahmenbedingungen weniger als die Hälfte, nämlich 2,0 Mia. CHF ausmachten (siehe).
Schwächen der heutigen rechtlichen Situation
Die Wahl eines zu teuren Reaktortyps oder eines Herstellers mit zu wenig Erfahrung liegt allein in der Verantwortung des Projektanten. Bei den beiden anderen Faktoren, den sich ändernden Sicherheitsanforderungen und den zu langen Bauzeiten, spielen jedoch auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen eine Rolle. Auf diese Aspekte wird im Folgenden näher eingegangen.
Für Kernanlagen werden in der Schweiz in der Regel drei Bewilligungen benötigt:
- Rahmenbewilligung: Die Rahmenbewilligung ist die erste Stufe des Bewilligungsverfahrens und wird vom Bundesrat erteilt. Sie bestätigt die grundsätzliche Eignung des Standorts und des Projekts für eine Kernanlage.
- Baubewilligung: Mit der Baubewilligung werden die technischen Details der Anlage festgelegt und genehmigt. Sie ist die zweite Stufe des Bewilligungsverfahrens und wird vom Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) erteilt.
- Betriebsbewilligung: Die letzte Bewilligungsstufe bildet die Betriebsbewilligung, die ebenfalls vom UVEK erteilt wird. In ihr werden die Voraussetzung für den Betrieb der Anlage festgelegt.
Für jeden Bewilligungsschritt müssen die Gesuchsteller verschiedene Unterlagen wie Sicherheitsanalysen, Umweltverträglichkeitsberichte, Notfallschutzkonzepte etc. einreichen. Diese werden von den zuständigen Behörden geprüft. Zudem muss das Bewilligungsverfahren öffentlich aufgelegt werden.
Die Erteilung einer Rahmenbewilligung dauert etwa vier Jahre. Da die Rahmenbewilligung dem fakultativen Referendum untersteht, stellt sie auch die demokratische Legitimation für ein Projekt dar.
Gegen die Baubewilligung und die Betriebsbewilligung steht den betroffenen Anwohnern ein Beschwerderecht zu. Beide Bewilligungen können über zwei Instanzen beim Bundesverwaltungsgericht und beim Bundesgericht angefochten werden. Jedes Gerichtsverfahren kann über ein Jahr dauern und hat aufschiebende Wirkung. Zusammen mit der Zeit, die die Behörden für die Prüfung der Unterlagen benötigen, kann die Erteilung einer Bau- oder Betriebsbewilligung im Falle einer Einsprache bis zu vier Jahre dauern. Insgesamt dauern die reinen Bewilligungsverfahren ohne Planungs-, Bau- und Inbetriebnahmezeiten bereits zwölf Jahre.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Rahmenbewilligung kaum inhaltliche Festlegungen enthält. Die meisten Sicherheitsanforderungen bleiben offen und werden erst in der Bau- und Betriebsbewilligung festgelegt. Damit besteht die Gefahr von Mehrkosten und Verzögerungen durch behördliche Auflagen.
Vorschlag für die Straffung des Bewilligungsverfahrens
Eine Möglichkeit, den Bau neuer Kernkraftwerke zu erleichtern, ist die Anpassung des Bewilligungsverfahrens. Wie in der Ausgangslage dargelegt, genügt es nicht, das Neubauverbot in Artikel 12a des Kernenergiegesetzes aufzuheben. Damit ein Projektentwickler das finanzielle Risiko eines Neubaus auf sich nimmt, sind weitere Anpassungen notwendig.
So dauert das Bewilligungsverfahren mit bis zu zwölf Jahren viel zu lange. Eine Reduktion der Bewilligungsschritte könnte dazu beitragen, diese Zeit zu verkürzen. Bereits heute besteht die Möglichkeit, Bau- und Betriebsbewilligung zusammenzulegen. Die Botschaft zum Kernenergiegesetz schränkt in Kapitel 8.4.3.2 jedoch ein, dass «die Erfahrungen zeigen, dass die gleichzeitige Erteilung von Bau- und Betriebsbewilligung nur bei konzeptionell einfacheren Anlagen möglich ist».
Da man als Projektant stets gut beraten ist, die Ratschläge in den bundesrätlichen Botschaften zu befolgen, ist die einfache Zusammenlegung von Bau- und Betriebsbewilligung für Kernkraftwerke keine wirklich sinnvolle Option. Es braucht deshalb weitergehende Gesetzesänderungen.
Ich schlage vor, die Rahmenbewilligung auszubauen und im Gegenzug die Bau- und Betriebsbewilligung durch ein Freigabeverfahren zu ersetzen.
Erweiterte Rahmenbewilligung
Eine erteilte Rahmenbewilligung verleiht einem Projekt dank dem fakultativen Referendum eine hohe demokratische Legitimation. Andererseits enthält sie nur wenige materielle Bestimmungen, weshalb zur Gewährleistung der Sicherheit weitere Bewilligungen erforderlich sind.
Wird nun die Rahmenbewilligung dahingehend erweitert, dass sie auch die wesentlichen Elemente der technischen Verwirklichung festlegt (vgl. Art. 17 Abs. 1 Bst. d) könnten die nachfolgenden Bewilligungen durch Freigaben ersetzt werden. Im Gegenzug müsste sich der Gesuchsteller früher als heute auf einen bestimmten Reaktortyp festlegen und bereits für die Rahmenbewilligung nachweisen, dass sein Projekt den Grundsätzen der nuklearen Sicherheit und Sicherung entspricht (vgl. Art. 16 Abs. 1 Bst. b).
Der vollständige Nachweis nach Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe b ist heute Bestandteil der Baubewilligung. Es ist klar, dass ein solcher Nachweis im frühen Stadium der Rahmenbewilligung noch nicht erbracht werden kann. Es ist jedoch denkbar, dass in der Rahmenbewilligung auf eine generische Bauartzertifizierung nach amerikanischem (NRC design certification) oder britischem Vorbild (ONR generic design assessment) abgestellt wird. Solche Zertifikate wurden bereits für mehrere auf dem Markt erhältliche Reaktortypen ausgestellt und könnten von den schweizerischen Behörden grundsätzlich übernommen werden.
Die Vervollständigung der Sicherheitsnachweise, insbesondere, dass die generische Bauartzertifizierung auch die standortspezifischen Gefährdungsannahmen abdeckt, wäre dann Teil des nachfolgenden Freigabeverfahrens.
Darüber hinaus würden in der erweiterten Rahmenbewilligung die Phasen und Einzelschritte der Errichtung und Inbetriebnahme, die Grenzwerte für die Abgabe radioaktiver Stoffe an die Umgebung und die Grundzüge des Notfallschutzes festgelegt.
Eine solche erweiterte Rahmenbewilligung würde in ihrer Struktur dem heutigen Verfahren für eine Stilllegungsverfügung entsprechen, bei der ebenfalls zu Beginn des Vorhabens die wesentlichen Grundanforderungen von der Bewilligungsbehörde festgelegt werden und der weitere Projektfortschritt im Rahmen von Freigabeverfahren abgewickelt wird. Dies hat gegenüber weiteren Bewilligungsschritten den Vorteil, dass zeitraubende Gerichtsverfahren vermieden werden können. Dies weil gemäss Art. 64 Abs. 3 in einem Freigabeverfahren nur der Gesuchsteller Parteistellung hat. Alternativ könnten die bestehenden Bewilligungsschritte beibehalten werden, wobei jedoch nur dem Gesuchsteller Parteistellung hätte.
Die übrigen Anforderungen der Rahmenbewilligung bezüglich Stilllegungskonzept, Entsorgungsnachweis für die anfallenden radioaktiven Abfälle, Umweltverträglichkeit und Abstimmung mit der Raumplanung bleiben unverändert.
Vor- und Nachteile von SMRs
Wie ich oben am Beispiel von KKG und KKL gezeigt habe, sind Gesetze und Vorschriften nicht die einzigen potenzellen Kostentreiber. Auch Planer können teure Fehler machen. Ein gutes Projektmanagement und die Wahl des richtigen Reaktortyps können daher viel Geld sparen. In diesem Zusammenhang sind derzeit die so genannten «Small Modular Reactors (SMR)» in aller Munde. Welche Vorteile haben sie gegenüber den klassischen Reaktoren der dritten Generation?
Der Name «Small Modular Reactor» sagt eigentlich schon alles:
- Small: Aufgrund ihrer geringeren Leistung sind SMR im Störfall deutlich einfacher zu kühlen als grössere Reaktoren. Dies hängt damit zusammen, dass die für die Kühlbarkeit relevante Oberfläche des Reaktorkerns mit steigender Leistung quadratisch zunimmt, die abzuführende Nachzerfallswärme jedoch mit der dritten Potenz. Je leistungsfähiger und damit grösser ein Reaktor ist, desto schwieriger ist er zu kühlen, je kleiner er ist, desto einfacher. Der Aufwand für Sicherheitssysteme ist daher bei kleinen SMR aus physikalischen Gründen deutlich geringer und erlaubt eine kompakte und integrierte Bauweise.
- Modular: Aufgrund der geringen Grösse und der kompakten Bauweise kann ein SMR weitgehend in der Fabrik des Herstellers gefertigt werden. Dadurch reduzieren sich die aufwendigen Montagearbeiten auf der Baustelle. Die Bauzeiten verkürzen sich entsprechend. Durch Standardisierung und Serienfertigung ergeben sich weitere Kostenvorteile. Um an einem Kraftwerksstandort trotz der geringen Leistung eines einzelnen Reaktors die erforderliche Gesamtleistung bereitstellen zu können, können mehrere SMR gekoppelt werden. Über die Anzahl der SMR kann die gewünschte Kraftwerksleistung so über einen weiten Bereich gewählt und auch später modular erhöht werden.
Häufig wird argumentiert, SMR seien sicherer als grosse Reaktoren der dritten Generation (Gen-III). Dies trifft jedoch nicht generell zu. Es ist zwar richtig, dass SMR bei Störfällen leichter gekühlt werden können als grosse Reaktoren. Dies wird aber durch die Auslegung kompensiert, so dass es sehr vom jeweiligen SMR-Typ abhängt, ob er letztlich sicherer ist als ein Gen-III-Reaktor.
Der Hauptnachteil der SMR ist ebenfalls grössenbedingt. Die Kosten eines Reaktors steigen quadratisch mit seiner Grösse, aber seine Leistung steigt in der dritten Potenz. Je grösser ein Reaktor also wird, desto geringer werden die Kosten pro Leistungseinheit. Aus diesem Grund wurden die Reaktoren in der Vergangenheit immer grösser und haben mit dem EPR mit 1’630 MW Nettoleistung ein vorläufiges Maximum erreicht. Ob die SMR mit ihren unbestrittenen Vorteilen diese grössenbedingten Mehrkosten auf dem Weltmarkt kompensieren können, ist heute noch nicht absehbar.
Konkretes Beispiel: SMR VOYGR der Firma NuScale
Diese Vorteile möchte ich an einem konkreten Beispiel, dem VOYGR-Kraftwerk der Firma NuScale, aufzeigen. Das erste Kraftwerk dieses Typs mit einer Leistung von 462 MW soll 2029 in Idaho Falls (USA) in Betrieb gehen und wird von der US-Regierung mit einer Finanzgarantie von 1,0 Mrd. USD unterstützt.
Der VOYGR-Reaktor ist ein kleiner, inhärent sicherer Druckwasserreaktor, der mit konventionellen Brennelementen betrieben wird, wie sie auch in bestehenden Kernkraftwerken zum Einsatz kommen. Ein VOYGR-Kraftwerk besteht aus bis zu 12 Reaktormodulen mit einer elektrischen Leistung von je 77 MW, was einer Gesamtleistung von maximal 924 MW entspricht, vergleichbar mit der Leistung des KKG.
Das Reaktorgebäude ist 75 Meter lang, 30 Meter breit und 40 Meter hoch (davon 25 Meter unter der Erde). Es besteht im Wesentlichen aus einem grossen Wasserbecken, in das die Reaktormodule eingetaucht sind (siehe Abbildung 2). Dieser sehr grosse Wasservorrat kann die Kühlung der Reaktormodule bei Störfällen über sehr lange Zeiträume sicherstellen.
Abbildung 2: Schnittbild durch das Reaktorgebäude eines VOYGR-Kraftwerks der Firma Nuscale. Im grossen Becken können bis zu zwölf Reaktormodule untergebracht werden (Bildquelle).
Hinzu kommen zwei 75 Meter lange und 60 Meter breite Maschinenhäuser, diverse Nebengebäude und zwei Kühlturmgruppen mit je 14 kleinen Kühltürmen sowie die Schaltanlage. Das Kraftwerksgelände umfasst bei lockerer Bebauung rund 14 Hektar, was in etwa dem Flächenbedarf des KKG und dem Doppelten des KKB entspricht. Trotz des «small» im Namen benötigen SRM, wenn sie sinnvollerweise aus mehreren Modulen gekoppelt werden, nicht weniger Platz als konventionelle Kernkraftwerke.
Die einzelnen Reaktormodule bestehen jeweils aus einem Reaktordruckbehälter mit integrierten Dampferzeugern, die von einem Sicherheitsbehälter (Containment) umschlossen sind. Die Reaktormodule werden im Naturumlauf betrieben, d.h. sie benötigen keine Pumpen zur Umwälzung des Kühlmittels im Reaktor und stehen in einem grossen Wasserbecken, das bei Störfällen überschüssige Wärme aufnehmen kann und gleichzeitig die Strahlung abschirmt. Sowohl die Nachwärmeabfuhr als auch die Kernkühlung bei Störfällen sind rein passiv und benötigen weder Pumpen noch eine Notstromversorgung. Die einzigen aktiven Bauteile sind 16 Ventile. Im Vergleich zu einer konventionellen Auslegung sind damit deutlich weniger sicherheitstechnisch klassierte Einrichtungen vorhanden, was den Überwachungsaufwand massiv reduziert.
Der weitaus grösste Teil der Sicherheitsnachweise ist bereits durch die generische Typenzertifizierung der amerikanischen Aufsichtsbehörde abgedeckt. Für Bau und Betrieb in der Schweiz wären lediglich die standortspezifischen Nachweise für externe Ereignisse wie Erdbeben, Hochwasser, Extremwetter und allenfalls Flugzeugabsturz zu ergänzen.
Eine erweiterte Rahmenbewilligung nach dem oben beschriebenen Muster würde somit bereits die wesentlichen Sicherheitsaspekte abdecken. Dies ist auch eine Legitimation für den vorgeschlagenen Ersatz der Baugenehmigung durch ein Freigabeverfahren.
Die Reaktormodule werden komplett im Herstellerwerk gefertigt und in einem Stück zur Baustelle geliefert. Dadurch können die Bauarbeiten vor Ort nach Herstellerangaben in nur 39 Monaten also in gut 3 Jahren durchgeführt werden.
Auch betrieblich ist ein VOYGR-Kraftwerk sehr sicher. Im Störfall geht es automatisch und ohne Bedienereingriff in einen sicheren Zustand über. Dazu ist weder eine externe Wasserzufuhr noch eine Notstromversorgung notwendig. Das Wasser im Becken des Reaktorgebäudes kann die Kühlung für mindestens 30 Tage sicherstellen. Im Marketing des Herstellers wird deshalb auch von «walk away safe» gesprochen. Auch wenn keine Aufsichtsbehörde ein solches Verhalten des Betriebspersonals gutheissen wird, wird aus den verfügbaren, extrem langen Karenzzeiten und der fehlenden Notwendigkeit von Eingriffen des Betriebspersonals deutlich, dass die Anforderungen an das Betriebspersonal bei diesem SMR vergleichsweise gering sind.
Es gibt daher kaum sicherheitstechnische Gründe, einer spezifikationsgerecht gebauten Anlage die Betriebsbewilligung zu verweigern. Dies ist eine weitere Begründung für den Vorschlag, die Betriebsbewilligung durch ein Freigabeverfahren zu ersetzen.
Aufgrund der einfachen Bauweise mit nur passiven Sicherheitssystemen könnte man fast versucht sein, ein solches Kraftwerk nach dem bestehenden Genehmigungsverfahren zu bauen, wären da nicht die potenziell langwierigen Gerichtsverfahren.
Fazit
Wenn in der Schweiz in Zukunft neue Kernkraftwerke gebaut werden sollen, genügt es nicht, das Neubauverbot in Artikel 12a des Kernenergiegesetzes aufzuheben. Damit ein Bauherr das finanzielle Risiko eines Neubaus auf sich nimmt, muss auch das Bewilligungsverfahren gestrafft werden.
Hier wird vorgeschlagen, die Rahmenbewiligung um die wesentlichen Elemente der technischen Realisierung des Projekts zu erweitern, die heute erst in der Baubewilligung festgelegt werden. Der Gesuchsteller müsste sich damit früher als heute auf einen bestimmten Reaktortyp festlegen und bereits für die Rahmenbewilligung nachweisen, dass sein Projekt den Grundsätzen der nuklearen Sicherheit und Sicherung entspricht. Damit wird die demokratisch legitimierte Rahmenbewilligung aufgewertet.
Im Gegenzug wird die heutige Bau- und Betriebsbewilligung durch ein Freigabeverfahren ersetzt. Dies hat den Vorteil, dass zeitraubende Gerichtsverfahren vermieden und die Verfahrensdauer um mindestens vier Jahre verkürzt werden kann.
Ein Projekt mit einem inhärent sicheren SMR, kurzer Bauzeit und einfacher Auslegung könnte unter den genannten Rahmenbedingungen in sieben bis acht Jahren genehmigt und gebaut werden. Nachteilig sind die relativ hohen Kosten dieser Reaktoren. Im Falle des oben genannten Beispiels werden für das erste VOYGR-Kraftwerk, insbesondere aufgrund der in jüngster Zeit stark gestiegenen Rohstoffpreise, Produktionskosten von bis zu 89 USD/MWh erwartet (siehe). Das ist rund doppelt so hoch wie die Produktionskosten eines durchschnittlichen Grossreaktors.