Die Energiestrategie unterschätzt den Stromverbrauch für Negativemissionen massiv

Abbildung 1: ORCA, die weltweit grösste Direct Air Capture (DAC) Anlage der Firma Climeworks (Bildquelle).

13. Februar 2023

Der indirekte Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative verlangt, dass die nicht vermeidbaren Treibhausgasemissionen aus Landwirtschaft und Industrie zwingend mittels Negativemissionen kompensiert werden.
Dafür benötigt die Schweiz pro Jahr zusätzliche 11,2 TWh Strom, welcher in der Energiestrategie des Bundes bisher nicht vorgesehen ist. Für die Erzeugung dieses Stroms werden zusätzlich zu den bereits benötigten 4’863 Windturbinen weitere 1’400 Windturbinen oder 481 alpine Solarparks in der Grösse von
Gondosolar gebraucht.

Selbst wenn alle fossilen Energieträger durch klimaneutrale Alternativen ersetzt sind, werden immer noch klimaschädliche Treibhausgase freigesetzt. Insbesondere gibt es in der Landwirtschaft signifikante nicht von fossilen Energieträgern stammende Treibhausgasemissionen. Die klimawirksamen Methanfreisetzungen von Kühen oder die Lachgasemissionen aus dem Ackerbau lassen sich auch kaum vermeiden.

Um die Klimaerwärmung zu stoppen, müssen auch diese Emissionen durch sogenannte Negativemissionen im gleichen Umfang ausgeglichen werden. Technisch gesehen erfolgt dies in zwei Schritten. In einem ersten Schritt wird CO2 in den Anlagen in denen es entsteht aus dem Abgas herausgefiltert. Dies kann in Wärmekraftwerken, Kehrichtverbrennungsanlagen, bei der Zementherstellung, der Prozesswärmeerzeugung oder bei der Biogasproduktion aber auch direkt aus der Umgebungsluft heraus erfolgen. Das so gewonnene CO2 wird anschliessend verflüssigt und in einem zweiten Schritt im Untergrund gebunden. Dadurch wird es der Atmosphäre entzogen und kann das Klima nicht mehr beeinflussen.

Mit dem vom Bundesrat letztes Jahr deklarierten Netto-Null-Ziel hat sich die Schweiz verpflichtet ab dem Jahr 2050 unter dem Strich keine Treibhausgasemissionen mehr ausstossen. Dazu gehört insbesondere auch die Verpflichtung nicht vermeidbare Restemissionen mittels Negativemissionen auszugleichen. Auf Gesetzesstufe wurde die Verpflichtung im indirekten Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative verankert. Gemäss Art.3, Abs. 2 des Gesetzesentwurfes, muss «nach dem Jahr 2050 die durch die Anwendung von Negativemissionstechnologien entfernte und gespeicherte Menge an CO2 die verbleibenden Treibhausgasemissionen übertreffen». Wenn der Gesetzesentwurf das dagegen ergriffene Referendum übersteht, kann er zeitnah in Kraft gesetzt werden.

Kosten und Energiebedarf der Negativemissionen

Die Auswirkungen dieses Entscheides auf die Energiestrategie sind gewichtig: Der Bedarf an CO2-freiem Strom steigt je nach gewählter technischer Lösung für die Negativemissionen um 11,2 TWh/a bis 18,5 TWh/a. Das sind 20% bis 30% des heutigen Stromverbrauchs.

Die im Jahr 2050 noch verbleibenden, klimawirksamen und auszugleichenden Restemissionen belaufen sich auf 17,6 Mio. Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr. Davon stammen 4,8 Mt CO2/a aus dem Energiesektor. 6,6 Mt CO2-eq/a betreffen weitere Treibhausgase wie Methan, Lachgas und synthetische Gase, welche primär in der Landwirtschaft und in geringerem Umfang in der Industrie freigesetzt werden. Hinzu kommen 6,2 Mt CO2/a für das Kerosin im internationalen Flugverkehr.

Diese 17,6 Mt CO2-eq/a an Restemissionen müssen in einem ersten Schritt abgeschieden werden. In technischen Anlagen können 16,2 Mt CO2/a aus den Abgasen herausgefiltert werden. Die verbleibenden 1,4 Mt CO2/a müssen mit dem teuren und umstrittenen Direct-Air-Capture (DAC)-Verfahren direkt aus der Umgebungsluft entfernt werden.

Die für die Abscheidung des CO2 benötigten Investitionen belaufen sich auf 9,1 Mia. CHF und die jährlichen Betriebs- und Kapitalkosten 0,8 Mia. CHF/a. Der Strombedarf beträgt 18,5 TWh/a.

Verlagerung der Negativemissionen ins Ausland

Aus Akzeptanz- und Kostengründen ist es wahrscheinlich, dass die Schweiz versuchen wird, einen grossen Teil der CO2-Abscheidung ins Ausland zu verlagern.
Dazu bietet sich zunächst insbesondere der klimaneutrale Flugtreibstoff an, der wie in den Energieperspektiven 2050+ vorgesehen, aus dem Ausland importiert werden könnte. Durch diesen Import reduziert sich der CO2-Abscheidebedarf in der Schweiz um 6,2 Mt CO2/a – es verbleiben 11,4 Mt CO2/a. Die Investitionskosten reduzieren sich in damit auf 3,3 Mia. CHF/a, die Betriebs- und Kapitalkosten auf 0,3 Mia. CHF/a und der Strombedarf auf 11,2 TWh/a. Im Gegenzug fallen natürlich die Kosten für den importierten Flugtreibstoff an.

Auch der zweite für die Negativemissionen notwendige Schritt, die geologische Speicherung des abgeschiedenen CO2, findet idealerweise im Ausland statt. Dies, weil die Schweiz dafür keine günstigen Bedingungen bietet. Deswegen wäre eine inländische Speicherung mit sehr hohen Kosten verbunden und würde nicht zuletzt zudem auf Widerstand in der Bevölkerung stossen.
Die Energiestrategie des Bundes geht denn auch von einer weitgehenden Auslagerung der Negativemissionen ins Ausland aus.

Beispiel Island

Der Export der Negativemissionen ins Ausland bedeutet jedoch nicht, dass sie dort völlig unproblematisch sind. Nehmen wir als Beispiel, die von der Schweizer Firma Climeworks propagierten Negativemissionen in Island.

Gemäss diesem Beispiel müssten 11,4 Mt CO2/a schweizerisches CO2 mit dem DAC-Verfahren aus der Atmosphäre abscheiden und im isländischen Untergrund gespeichert werden. Der damit verbundene Energieaufwand beläuft sich auf 22,3 TWh/a. Das sind 123% der heutigen Stromproduktion von Island – allein für die Behandlung des schweizerischen CO2. Auch der Platzbedarf ist erheblich. Die benötigten DAC-Abscheideanlagen würden eine Fläche von 35 km2 bedecken.

Wenn man bedenkt, dass die schweizerischen CO2-Emissionen lediglich 1% der europäischen Emissionen ausmachen, wird mit diesem Beispiel klar, dass auch Auslandlösungen an ihre Grenzen stossen können.

Auswirkungen auf die Energiestrategie 2050

Die Energiestrategie des Bundes geht aber nicht nur von einer weitgehenden Verlagerung der Negativemissionen ins Ausland aus. Sie hofft zudem, dass dies zu günstigen Preisen möglich ist. Allerdings lassen sich auch gemäss Energiestrategie nicht alle Negativemissionen auslagern. Für diese im Inland verbleibenden Negativemissionen wird von unrealistisch tiefen Zahlen ausgegangen. So ist im technischen Bericht zu den Energieperspektiven 2050+ für das in der Schweiz abzuscheidende CO2 ein Stromverbrauch von lediglich 1,8 TWh/a vorgesehen (vgl. Seite 312, zweitletzte Zeile). Ein solch geringer Stromverbrauch ist illusorisch.

Unter realistischen Annahmen braucht es für die in der Schweiz zu kompensierenden 11,4 Mt CO2/a eine Strommenge von 11,2 TWh/a. Für die Erzeugung dieses Stroms in der Schweiz werden zusätzlich zu den bereits benötigten 4’863 Windturbinen weitere 1’400 Windturbinen oder 481 alpine Solarparks in der Grösse von Gondosolar gebraucht.

Ein Grund mehr die Energiestrategie grundsätzlich zu überdenken.

2 Kommentare zu «Die Energiestrategie unterschätzt den Stromverbrauch für Negativemissionen massiv»

  1. Die Abscheidung von CO2 aus der Atmosphäre ist so dumm wie der Bau einer Kläranlage mitten im Ozean. Statt am Ende einer Kanalisation. Und dann ist das CO2 erst konzentriert und noch nicht entsorgt. Das Verpumpen in den Untergrund ist eine weitere sündhaft wirkungslose Energiesenke. Gibts in der ETH eigentlich keine Ingenieure mehr, welche eine Wirkungsanalysen durchführen können?

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