Die Energiestrategie der Schweiz ist nicht umsetzbar

Abbildung 1: Kartenhaus (Bildquelle).

22. April 2023

Jetzt signalisiert auch die Umweltkommission des Nationalrates, dass sie die aktuelle Energiestrategie des Bundes für nicht umsetzbar hält. Um den künftigen Strombedarf von Wärmepumpen und Elektroautos auch im Winter decken zu können, will sie Wärmekraftkopplungsanlagen bauen – diese werden mit fossilen Energieträgern befeuert.

2019 hat der Bundesrat die Energiestrategie2050, der die stimmberechtigte Schweizer Bevölkerung 2017 in einer Volksabstimmung zugestimmt hat, verschärft, indem er «Netto-Null» als Klimaziel für 2050 beschlossen hat. Mit den Energieperspektiven 2050+ (EP2050+) will der Bund anhand von verschiedenen Szenarien aufzeigen, wie dieses Ziel Netto-Null bis 2050 konkret erreicht werden kann.

Dabei geht er von einer weitgehenden Elektrifizierung des Energiesystems (inkl. Verkehr, Industrie und Wohnen), welches bis heute immer noch auf zwei Dritteln nicht erneuerbaren Energieträgern beruht. Der grosse zusätzliche Strombedarf für den Ersatz der fossilen Energieträger sowie der Mehrbedarf durch den Ausstieg aus der Kernenergie sollen weitgehend durch Photovoltaik auf Gebäuden, durch einen moderaten Ausbau der Wasserkraft sowie mit kleineren Beiträgen aus Windenergie und Geothermie gedeckt werden.

Das Problem: Bei diesem Strommix fehlen grosse Mengen Strom im Winter, weil die Dachphotovoltaik dann viel zu wenig Strom liefert. Gemäss den aktuellen Plänen des Bundes soll diese Winterstromlücke durch Importe aus dem Ausland gedeckt werden. Europäische Windenergie, Biogas und Treibstoffe, die mit Strom produziert werden, sollen helfen, mögliche Versorgungsengpässe zu vermeiden.

Insgesamt kommen die EP2050+ zu dem Schluss, dass die Reduktion der Treibhausgasemissionen auf «Netto-Null» bis 2050 ohne einschneidende Eingriffe in die Landschaft und zu moderaten Kosten möglich ist.

Diese Schlussfolgerungen sind jedoch umstritten. Hauptkritikpunkt (auch von wissenschaftlicher Seite): die EP2050+ gehen von viel zu optimistischen Annahmen aus. So gehen die EP2050+ davon aus, dass die in der Schweiz lebenden Leute pro Kopf 36 % weniger Energie verbrauchen werden  als heute. Ausserdem wird angenommen, dass grosse Mengen Biogas aus der Ukraine und Russland importiert werden können und dass 39% der fossilen Treibstoffe im Verkehrssektor durch Treibstoffe ersetzt werden, die mit (sauberem?) Strom ebenfalls im Ausland produziert werden.

Alle drei Annahmen sind, wie ich unter https://georgschwarz.ch/energieperspektiven-2050/ im Detail aufgezeigt habe, sehr optimistisch. Wer schon einmal selbst Modelle gerechnet hat, weiss: Wenn man mehrere optimistische Annahmen in einem Modell kombiniert, ist das Ergebnis nicht «sehr optimistisch», sondern schlicht und einfach falsch.

Ich habe deshalb eine Vergleichsrechnung mit realistischeren Annahmen durchgeführt. Dabei ergibt sich im Vergleich zu den EP2050+ ein um 15% höherer Energiebedarf insgesamt und wegen der zunehmenden Elektrifizierung in den Bereichen Verkehr, Industrie und Wohnen ein um 40% höherer Bedarf an Strom. Der Stromverbrauch steigt aber nicht nur im Jahresverlauf überproportional an, sondern im Winterhalbjahr noch stärker, nämlich um 46%.

Meine Berechnungen, welche auf https://georgschwarz.ch/vergleichsrechnung/ im Detail dargestellt sind, ergeben klar, dass dieser zusätzliche Strombedarf mit den Produktionsanlagen, auf welche die Energieperspektiven2050+ setzt, nicht gedeckt werden kann.

Um dies aufzuzeigen habe ich im wesentlich die Annahmen des Bundes in den EP2050+ übernommen, welche schwergewichtig auf Gebäudephotovoltaik und zur Kompensation verbleibenden Defizite auf Stromimporte aus dem Ausland setzen.

Die Stromimporte aus der EU sind aber wegen der «70%-Regel» auf maximal 10,0 TWh/a begrenzt: Dies entspricht in etwa den Winterstromimporten, mit welchen die EP2050+ rechnen. Tatsächlich aber reichen die 10 TWh nicht, um das Schweizer Stromdefizit im Winter zu kompensieren. Es werden 64,8 TWh/a benötigt – und dieser Strom soll also gemäss der geltenden Politik des Bundes durch die Gebäudephotovoltaik produziert werden.

Dies erfordert eine deutlich höhere Photovoltaik-Produktion als die in den EP2050+ angenommenen 33,6 TWh/a. In der Vergleichsrechnung werden für die Deckung des Strombedarfs rund dreimal mehr, nämlich 105,8 TWh/a an Produktionskapazität benötigt. Der Grund für den hohen Ausbaubedarf liegt bei der Gewichtung der Gebäudephotovoltaik als Hauptstromlieferantin: Im Winterhalbjahr, wenn die Wärmepumpen betrieben werden müssen, liefern diese Solaranlagen auf Gebäuden höchstens 30% ihrer Jahresproduktion. 70% wird im Sommer produziert, wenn der Stromverbrauch geringer ist. Um auch im Winter genügend Strom zu produzieren wird deshalb ein überproportional grosser Kapazitätsausbau notwendig.

Alle bis heute installierten Dachsolaranlagen produzierten im Jahr 2019 zusammen 2,2 TWh/a. Das heisst, es müssten bis 2050 103,6 TWh/a an Gebäudephotovoltaik-Produktion hinzugebaut werden. Dies sind rund 50 mal mehr Solarpanels als heute. Doch dafür reicht der Platz auf unseren Dächern nicht aus. Das in der Schweiz verfügbare, technisch realisierbare Potenzial der Gebäudephotovoltaik beläuft sich auf lediglich 60,0 TWh/a. Es fehlen somit 43,6 TWh/a.

Daraus folgt, dass das Basisszenario der EP2050+ des Bundes unter den realistischeren Rahmenbedingungen, wie sie im Vergleichsszenarios verwendet werden, nicht umsetzbar ist.

Diese Erkenntnis ist in der Zwischenzeit auch in Bundesbern angekommen. Die nationalrätliche Umweltkommission verlangt nun mittels einer Motion, mit Unterstützung der SP und der Grünliberalen, dass in der Schweiz fossile Wärme-Kraft-Koppelungsanlagen subventioniert werden, um sicherzustellen, dass künftig im Winter der Strombedarf von Wärmepumpen und Elektroautos gedeckt werden kann. SP-Fraktionschef Roger Nordmann, in den vergangenen Jahren einer der einflussreichsten Promotoren der Schweizer Solarstrategie, geht davon aus, dass der fossile Anteil am Schweizer Strom über das ganze Jahr von 1,5% auf 10% ansteigen wird.

Wenig überraschend titelt selbst der Tagesanzeiger: «Jetzt setzen auch Linke auf dreckigen Strom.» Allerdings hoffen die Initianten der Motion, dass die Wärmekraftkoppelungsanlagen «dereinst» mit hundert Prozent erneuerbarem Diesel, Gas oder Wasserstoff betrieben werden können.

So erfreulich es ist, dass die führenden Energiepolitiker der Schweiz inzwischen erkannt zu haben scheinen, dass eine vollständige Dekarbonisierung unseres gesamten Energiesystems nur mit Dachsolaranlagen nicht machbar ist, so erstaunlich ist der Zeitpunkt der Motion der Umweltkommission des Nationalrates: Mitte Juni stimmt die Schweiz über das «Klimaschutzgesetz» ab, welches das bundesrätliche «Klimaziel Netto-Null-2050» absegnen soll.

1 Kommentar zu «Die Energiestrategie der Schweiz ist nicht umsetzbar»

  1. Sehr guter, nachvollziehbarer Beitrag. Es wäre für den Leser des Blogs aber hilfreich bzw. nützlich, wenn die Beiträge auch mit dem Publikationsdatum versehen wären.
    Gruss, M. Saurer

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