Das Märchen vom billigen Solarstrom, der von unseren Dächern kommt
Abbildung 1: Sonnenkollektoren auf dem Dach der Universität Speyer (Bildquelle).
23. Februar 2024
Mit der «Blackout stoppen»-Initiative wurde die Debatte über die Rolle der Kernenergie neu lanciert. Die Gegner der Initiative argumentieren mit den zu hohen Kosten der Kernenergie. Diese Argumentation ist nicht stichhaltig. Eine Stromversorgung mit Wind- und Solarenergie wäre teurer. Zudem kann die schweizerische Stromversorgung mit Dachsolaranlagen allein nicht sichergestellt werden. Es geht nicht ohne Windturbinen oder alpine Solaranlagen welche die Landschaft massiv beeinträchtigen.
Am 16. Februar 2024 wurde die «Blackout stoppen»-Initiative mit rund 130’000 Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht. Die Volksinitiative lanciert die Debatte über die Rolle der Kernenergie neu. Doch kaum eingereicht, steht die Atom-Initiative in der Kritik. Neue Atomkraftwerke hätten gewichtige Nachteile und seien zudem viel zu teuer. So schreibt die SP in ihrer Medienmitteilung gegen den Neubau von AKW an und betont, dass Solar- und Windkraftanlagen schnell sowie kostengünstig gebaut werden können und uns unabhängig vom Ausland machen würden. Einmal installiert, würden sie über Jahrzehnte günstigen Strom produzieren.
Im vorliegenden Beitrag möchte ich dieser Behauptung auf den Grund gehen und die Kosten der Wind- und Solarenergie näher analysieren.
Heutiger und zukünftiger Stromverbrauch
In Abbildung 2 ist der monatliche Stromverbrauch und die zugehörigen Beiträge der verschiedenen Erzeugungstechnologien des Jahres 2022 dargestellt. Dabei ist zu beachten, dass die Monate nicht chronologisch, sondern in Abhängigkeit des Stromverbrauches aufgetragen werden. Ganz links ist der Monat mit dem höchsten Stromverbrauch (Januar), ganz rechts der Monat mit dem niedrigsten Stromverbrauch angeordnet (August).
Der Landesverbrauch von 65,2 TWh/a wird im Wesentlichen durch Laufwasser- und Speicherkraftwerke sowie durch Kernenergie und in geringerem Masse durch andere Erzeugungstechnologien gedeckt. In den Wintermonaten musste die Schweiz 3,4 TWh/a Strom importieren, in den Sommermonaten exportiert sie 6,5 TWh/a. Die Speicherkraftwerke, die einzigen mehr oder weniger flexibel einsetzbaren Erzeuger, sind somit bereits heute nicht in der Lage den höheren Stromverbrauch in den Wintermonaten auszugleichen.
Abbildung 2: Schweizer Stromerzeugung und -verbrauch des Jahres 2022 (Datenquelle).
Um das Netto-Null-Klimaziel zu erreichen, muss das gesamte Energiesystem grundlegend umgebaut werden. Dazu müssen insbesondere Heizung- und Warmwasser sowie der Strassenverkehr elektrifiziert werden. Dadurch steigt der Strombedarf stark an. Zudem hat die Schweiz im Rahmen der Energiestrategie beschlossen aus der Kernenergie auszusteigen. In Abbildung 3 ist die daraus resultierende Deckungslücke dargestellt. Bis 2050 sind somit insgesamt 61,7 TWh/a an zusätzlichem Strom zur Verfügung zu stellen. Davon entfallen rund zwei Drittel auf das Winterhalbjahr.
Abbildung 3: Schweizer Stromerzeugung und -verbrauch des Jahres 2050 ohne Zubau von Wind- und Solarenergie (Datengrundlage).
Die oben angeführten Zahlen sind etwas höher als die offiziellen Zahlen des BFE, weil im Unterschied zu den Energieperspektiven 2050+ von einer vollständigen Elektrifizierung des Energiesystems ausgegangen wird und weder höchst ungewisse Importe von russischem und ukrainischem Biogas noch von hypothetischen synthetischen Treibstoffen angenommen werden.
Produktionskosten verschiedener Stromerzeugungstechnologien
Wie im vorangehenden Abschnitt hergeleitet, müssen bis 2050 zusätzliche 61,7 TWh/a an klimaneutralem Strom zur Verfügung gestellt werden. Die Produktion dieses Stromes kann mittels Gebäudephotovoltaik, alpiner Solaranalagen, Windkraftanlagen sowie Kernkraftwerken erfolgen. In Abbildung 4 sind die Produktionskosten der genannten Stromerzeugungstechnologien dargestellt. Bei der Herleitung wurde von einem Realzins von 1,6% ausgegangen (für Details siehe). Mit 121 CHF/MWh verursacht die Gebäudephotovoltaik die höchsten Kosten. Die Kosten für alpine Solaranlagen und Windkraftanlagen sind deutlich niedriger und belaufen sich auf 103 CHF/MWh resp. 88 CHF/MWh.
Abbildung 4: Produktionskosten von verschiedenen klimaneutralen Produktionstechnologien (Datengrundlage).
Zum Vergleich sind auch die Produktionskosten von neuen und bestehenden Kernkraftwerken aufgeführt. Wie ich in meinen Beitrag https://georgschwarz.ch/kosten-neuer-kernkraftwerke-in-der-schweiz/ dargelegt habe, sind die Produktionskosten der Kernenergie nicht höher als diejenigen der neuen Erneuerbaren. Bestehende Kernkraftwerke produzieren zu 43 CHF/MWh und der Strom aus einem gut projektierten, neuen Kernkraftwerk in der Schweiz würde 57 CHF/MWh kosten. Die genannten Produktionskosten beinhalten sämtliche Kosten inklusive der Kosten für die Entsorgung der radioaktiven Abfälle sowie für die Stilllegung des Kernkraftwerks. Selbst wenn die Baukosten des völlig aus dem Ruder gelaufenen Projektes Hinkley Point C zugrunde gelegt werden, resultieren Stromkosten von lediglich 89 CHF/MWh. Dies entspricht in etwa den Produktionskosten von schweizerischen Windkraftwerken.
Die Produktionskosten einer Erzeugungstechnologie sind nicht das einzige Kriterium für deren Einsatz. Daneben müssen insbesondere auch das in der Schweiz verfügbare Ausbaupotenzial, der Produktionsbeitrag in den verbrauchsstarken Wintermonaten, Versorgungssicherheit und die Akzeptanz in der Bevölkerung berücksichtigt werden. Auf diese Aspekte wird in den folgenden Abschnitten näher eingegangen.
Windenergie
Die Windkraftanlagen liefern den günstigsten Strom aller neuen erneuerbaren Produktionstechnologien. Ihre Kosten entsprechen in etwa denjenigen der weltweit teuersten Kernkraftwerksprojekte. Obwohl die Schweiz nur bedingt für Windenergie geeignet ist, wird das nachhaltige Windenergiepotenzial im Schlussbericht Windpotenzial des BFE auf rund 30 TWh/a abgeschätzt. Dies entspricht 3’750 grossen Windturbinen.
Abbildung 5: Schweizer Stromerzeugung und -verbrauch des Jahres 2050 bei einem Vollausbau der Windenergie (30 TWh/a).
Wie aus Abbildung 5 ersichtlich ist, verbleiben selbst bei der vollen Ausschöpfung des Windenergiepotenzials von 30 TWh/a noch erhebliche Versorgungslücken von insgesamt 31,7 TWh/a (davon 22,4TWh/a im Winterhalbjahr). Solch grosse Strommengenkönnen durch Importe nicht gedeckt werden. Die Versorgungssicherheit kann somit nur mit dem Zubau von Windenergie nicht sichergestellt werden.
Hinzu kommt, dass die Produktion von Windkraftanlagen starken Schwankungen unterworfen ist. Bei ungünstigen Wetterbedingungen z.B. bei winterlichen Dunkelflauten können auch längere Produktionsausfälle nicht ausgeschlossen werden. Dass der Strombedarf während solcher produktionsarmen Zeiten durch Importe gedeckt werden kann, ist nicht immer gesichert. Bei einer europäischen Dunkelflaute herrscht auch bei unseren Nachbarländern Strommangel.
Bei der Beurteilung der Windenergie ist zudem zu beachten, dass sie in der Schweiz auf erbitterten politischen Widerstand stösst. Neue Windparkprojekte werden dadurch jahrelang verzögert. Im Jahr 2022 wurden deshalb mit Windkraftanlagen in der Schweiz lediglich 0.15 TWh/a erzeugt. Ich wage an dieser Stelle zu bezweifeln, dass sich diese Produktion bis 2050 um einen Faktor 200 steigern lässt.
Alpine Solarparks
Die Produktionskosten von alpinen Solaranlagen sind 17% höher als diejenigen von Windkraftanlagen. Ihr Produktionspotenzial ist mit 44 TWh/a jedoch deutlich grösser (siehe). Dies entspricht rund 2’200 mittlere Solarparks.
Wie aus Abbildung 6 ersichtlich ist, kann der Stromverbrauch in den Sommermonaten mithilfe von alpinen Solaranlagen gedeckt werden. In den Wintermonaten verbleibt jedoch ein Defizit 17,4 TWh/a.
Abbildung 6: Schweizer Stromerzeugung und -verbrauch des Jahres 2050 bei einem Vollausbau der alpinen Solarenergie (44 TWh/a).
Wie die Windenergie ist auch die Produktion der alpinen Solaranlagen starken Schwankungen unterworfen und längere Produktionsausfälle können ebenfalls nicht ausgeschlossen werden. Das Winterstromdefizit von 17,4 TWh/a lässt sich durch Stromimporte nicht decken. Die Versorgungssicherheit kann somit nur mit dem Zubau von alpinen Solaranlagen nicht sichergestellt werden.
In Kombination mit der Windenergie könnten alpine Solaranlagen jedoch den Strombedarf des Jahres 2050 decken. In Abbildung 7 ist ein Erzeugungsmix von 38 TWh/a aus alpinen Solaranlagen und 30 TWh/a aus Windenergie dargestellt. Das verbleibende Winterstromdefizit von 3,5 TWh/a entspricht in etwa dem heutigen Wert und kann durch Importe gedeckt werden.
Abbildung 7: Schweizer Stromerzeugung und -verbrauch des Jahres 2050 bei einem Vollausbau der Windenergie und einen Zubau von 38 TWh/a an alpiner Solarenergie.
Wie das obige Beispiel zeigt, kann der Strombedarf des Jahres 2050 sehr wohl mithilfe von neuen erneuerbaren Produktionsanlagen gedeckt werden. Die damit verbundenen jährlichen Kosten belaufen sich auf 6,6 Mia. CHF/a.
Hinderlich für die Umsetzung des genannten Produktionsmixes ist, dass alpine Solaranlagen wie auch die Windenergie politisch umstritten sind. So hat die Walliser Bevölkerung das beschleunigte Bewilligungsverfahren für Solaranlagen abgelehnt und bei den Abstimmungen in den Berggemeinden wurden rund 40% der Solarprojekte verworfen.
Gebäudephotovoltaik
Als letzte Alternative verbleibt noch die Gebäudephotovoltaik. Sie ist mit Produktionskosten von 121 CHF/MWh zwar die teuerste Produktionstechnologie, verfügt aber mit 60 TWh/a auch über das grösste Ausbaupotenzial unter den neuen Erneuerbaren (siehe). Zudem ist die Gebäudephotovoltaik die einzige klimaneutrale Produktionstechnologie, die politisch weitgehend unumstritten ist.
In Abbildung 8 ist die Versorgungssituation unter der Annahme der vollständigen Ausschöpfung des Produktionspotenzials der Gebäudephotovoltaik dargestellt. Die Produktion ist im Jahresverlauf sehr ungleich verteilt. Im Winterhalbjahr resultiert ein Defizit von 21,4 TWh/a, im Sommer ein Überschuss von 19,7 TWh/a. Solch grosse Strommengen können im Winter durch Importe nicht gedeckt werden. Die Versorgungssicherheit kann somit nur mit dem Zubau von Gebäudephotovoltaik nicht sichergestellt werden.
Abbildung 8: Schweizer Stromerzeugung und -verbrauch des Jahres 2050 bei einem Vollausbau der Gebäudephotovoltaik (60 TWh/a).
In Kombination mit Windenergie oder alpinen Solaranlagen kann die Stromversorgung auch mittels Gebäudephotovoltaik sichergestellt werden. Aufgrund ihres geringen Winteranteils sind für die Gebäudephotovoltaik jedoch hohe Beiträge zur Ergänzung der Windenergie oder alpinen Solaranlagen notwendig.
So werden für die Sicherstellung der schweizerischen Stromversorgung zusätzlich zum Vollausbau der Gebäudephotovoltaik mit 60 TWh/a, zusätzlich noch auch ein Ausbau der alpinen Solaranlagen auf 36 TWh/a benötigt (siehe Abbildung 9). Damit resultiert ein mit dem heutigen Wert vergleichbares Winterdefizit. In den Sommermonaten wird jedoch ein Überschuss von 38 TWh/ erzeugt. Die jährlichen Kosten dieses Strommixes belaufen sich auf 11,0 Mia. CH/a.
Ob sich diese hohen Kosten durch die Exporterlöse der gewaltigen Überschüsse im Sommerhalbjahr von 38 TWh/a reduzieren lassen ist mehr als fraglich. Dies weil auch unsere Nachbarländer grosse Photovoltaikkapazitäten aufbauen und deshalb in den Sommermonaten grosse Stromüberschüsse die Regel sein werden.
Abbildung 9: Schweizer Stromerzeugung und -verbrauch des Jahres 2050 bei einem Vollausbau der Gebäudephotovoltaik und einen Zubau von 36 TWh/a an alpiner Solarenergie.
Wird statt alpiner Solarenergie Windenergie eingesetzt, werden zusätzlich zum Vollausbau der Gebäudephotovoltaik mit 60 TWh/a zusätzlich noch weitere 30 TWh/a an Windstrom benötigt. Der Sommerüberschuss reduziert sich geringfügig auf 32 TWh/a, die Kosten auf 9,9 Mia. CHF/a. Auch dieses Beispiel zeigt, dass der Ausbau der Gebäudephotovoltaik mit sehr hohen Kosten verbunden ist.
Kernenergie
Zum Vergleich führe ich noch ein auf Kernenergie basierenden Strommix an. Wie aus Abbildung 10 ersichtlich ist, lässt sich der schweizerische Strombedarf mit 66 TWh/a Kernenergie decken. Damit ergibt sich ein mit heute vergleichbarer Importbedarf von 3,4 TWh/a im Winter und ein moderater Sommerüberschuss von 7,4 TWh/a. Kernenergie ist somit in der Lage die zukünftige schweizerische Stromversorgung sicherzustellen.
Zur Produktion von 66 TWh/a werden Kernenergie werden 5 bis 6 Kernreaktoren benötigt, die an den bestehenden Standorten gebaut werden könnten.
Abbildung 10: Schweizer Stromerzeugung und -verbrauch des Jahres 2050 bei einem Zubau von 5 bis 6 Kernkraftwerken (66 TWh/a).
Zur Produktion der genannten 66 TWh/a Kernenergie werden 5 bis 6 Kernreaktoren benötigt, die an den bestehenden Standorten gebaut werden könnten. Die Kosten für die Stromproduktion belaufen sich im Normalfall auf 3,8 Mia. CHF/a und übersteigen selbst bei völlig überbordenden Baukosten keine 5,9 Mia. CHF/a.
Fazit
Keine der neuen erneuerbaren Produktionstechnologien ist alleine in der Lage die Stromversorgung der Schweiz im Jahr 2050 sicherzustellen. Wenn hingegen zwei Produktionstechnologien kombiniert werden, ist dies sehr wohl möglich. So kann der Strombedarf des Jahres 2050 mit einem Erzeugungsmix von 38 TWh/a aus alpinen Solaranlagen und 30 TWh/a aus Windenergie zu Kosten von 6,6 Mia. CHF/a gedeckt werden.
Erheblich teurer würde es, wenn auf Gebäudephotovoltaik gesetzt wird. Ein Strommix aus Gebäudephotovoltaik und alpinen Solaranlagen würde 11,0 Mia. CHF/a, ein solcher aus Windenergie und Gebäudephotovoltaik 9,9 Mia. CHF/a kosten.
Die hohen Kosten der Gebäudephotovoltaik werden erstens durch die höchsten Produktionskosten aller neuen Erneuerbaren und zweitens durch ihren geringen Winterstromanteil verursacht. Um die Versorgungssicherheit im Winter zu gewährleisten, müssten deshalb grosse Produktionskapazitäten aufgebaut werden, welche im Sommer kaum verkäufliche Überschüsse produzieren.
Der einzige Vorteil der Gebäudephotovoltaik ist ihre gesellschaftliche Akzeptanz. Weil sie jedoch allein nicht in der Lage ist den Strombedarf zu decken, werden trotzdem erhebliche Mengen an Wind- oder alpiner Solarenergie benötigt. Damit relativiert sich dieser Vorteil beträchtlich. Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Landschaftsbeeinträchtigung der Wind- oder alpinen Solarenergie lässt sich trotz hoher Investitionen in die Gebäudephotovoltaik nicht vermeiden.
Ich weiss nicht, ob es bei dieser Diskussion einen grossen Unterschied macht ob nun 6’250 Windturbinen und 1’900 alpine Solarparks, oder 6’250 Windturbinen und 1,8 Mio. Solardächer, oder 1’800 Solarparks und 1,8 Mio. Solardächer zugebaut werden müssen.
Im Gegensatz zu den neuen Erneuerbaren beeinträchtigen Kernkraftwerke die Landschaft kaum und sind mit Produktionskosten von 3,8 Mia. CHF/a bis 5,9 Mia. CHF/a selbst im ungünstigsten Fall billiger als Wind- oder Solarenergie. Mit der «Blackout stoppen»-Initiative werden diese Vorteile wieder in die Debatte eingebracht.